Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsförderung. Arbeitslosengeldanspruch. Nahtlosigkeitsregelung. Fiktion der objektiven Verfügbarkeit. Sperrwirkung. Ablehnung der Erwerbsminderung durch Rentenversicherungsträger. Klage gegen Rentenablehnung. Bindungswirkung. subjektive Verfügbarkeit)
Orientierungssatz
1. Die Nahtlosigkeitsregelung des § 145 Abs 1 S 1 SGB 3 ist nicht anwendbar, wenn der Arbeitslose, nachdem der Rentenversicherungsträger das weitere Vorliegen von verminderter Erwerbsfähigkeit durch Rentenablehnung verneint hat, gegen die Verneinung der Erwerbsminderung klagt.
2. Hat der Rentenversicherungsträger das Vorliegen von voller Erwerbsminderung verneint, darf die Bundesagentur für Arbeit (BA) darüberhinausgehend ihrerseits nicht mehr davon ausgehen, der Versicherte stehe mangels ausreichenden Leistungsvermögens der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung (vgl BSG vom 29.4.1998 - B 7 AL 18/97 R = SozR 3-4100 § 105a Nr 5).
3. Die BA ist zwar bei Verneinung der Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger zur Feststellung des Umfangs zumutbarer Arbeiten und zur Beurteilung der subjektiven Verfügbarkeit verpflichtet, das tatsächliche Leistungsvermögen der Arbeitslosen eigenständig zu ermitteln und festzustellen (vgl BSG vom 9.9.1999 - B 11 AL 13/99 R = BSGE 84, 262 = SozR 3-4100 § 105a Nr 7). Dies ändert aber nichts daran, dass der Arbeitslose erklären muss, zu ihm gesundheitlich möglichen und zumutbaren Beschäftigungen und Maßnahmen bereit zu sein.
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 13.06.2022; Aktenzeichen S 23 AL 615/18) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.06.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld.
Der 0000 geborene Kläger stand bis zum 30.04.2009 in einem Arbeitsverhältnis. Ab dem 01.03.2009 bezog er von der DRV C. (DRV) eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 29.05.2018 lehnte die DRV die Weiterbewilligung der Rente ab dem 01.07.2018 ab, da keine Erwerbsminderung mehr vorliege. Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und erhob nach der Zurückweisung Klage bei dem Sozialgericht Dortmund ( S 108 R 18/20 ), die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senates noch anhängig war.
Nach dem Erhalt des Ablehnungsbescheides der DRV meldete sich der Kläger am 05.06.2018 persönlich zum 01.07.2018 arbeitsuchend und beantragte am 18.06.2018 Arbeitslosengeld. Die Frage, ob er alle zumutbaren Möglichkeiten nutzen werde, um seine Arbeitslosigkeit zu beenden, beantwortete er mit "Nein". Außerdem gab er an, bestimmte Beschäftigungen aus gesundheitlichen Gründen und aufgrund von Pflege nicht mehr ausüben zu können. In einem persönlichen Gespräch am 18.06.2018 wurde der Kläger von der Mitarbeiterin der Beklagten Q. auf die nach deren Auffassung gegebenen leistungsrechtlichen Konsequenzen dieser Aussage hingewiesen. Er blieb dabei und gab an, sich "wahrscheinlich" krankschreiben zu lassen. Der behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie G. bescheinigte dem Kläger am gleichen Tag Arbeitsunfähigkeit ab dem 18.06.2018 aufgrund einer psychischen Erkrankung, die Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit wurde mehrfach verlängert und dauerte jedenfalls bis zum 14.11.2022 an.
Am 14.06.2018 beantragte der Kläger Leistungen nach dem SGB II bei dem Jobcenter S.. Dieses lehnte den Antrag zunächst ab, da der Kläger nicht erwerbsfähig sei. Auf den Widerspruch wurden dem Kläger als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit seinem Sohn und seiner Ehefrau aufstockende Leistungen mit Bescheid vom 10.10.2018 für Juli 2018 und August 2018 bewilligt. Ab September 2018 war der Bedarf durch das Einkommen der Ehefrau und des Sohnes gedeckt.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 18.06.2018 ab, da der Kläger subjektiv nicht verfügbar und damit nicht arbeitslos sei. Der Kläger legte am 22.06.2018 Widerspruch ein. Ihm sei das Arbeitslosengeld im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung zu gewähren. Zwar habe die DRV die Weiterbewilligung der Rente bereits abgelehnt, ausnahmsweise könne aber dennoch die Nahtlosigkeitsregelung greifen, wenn die Entscheidung des Rententrägers bereits längere Zeit zurückliege oder sich das Leistungsvermögen deutlich verschlechtert habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2018 zurück. Der Kläger sei trotz einer entsprechenden Belehrung in dem Gespräch am 18.06.2018 bei seiner Aussage geblieben und habe ergänzend mitgeteilt, nicht drei Stunden am Tag arbeiten zu können. Dies widerspreche den Feststellungen der DRV. Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes lägen nicht vor.
Der Kläger hat am 27.07.2018 Klage erhoben ( S 23 AL 615/18 ). Seine Aussage bei der Beklagten sei dahingehend zu verstehen, dass er sich subjektiv nicht in der Lage sehe, drei Stunden und mehr zu arbeite...