nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzeit. Verfolgteneigenschaft nach dem BEG. Beitragszeit bei nichtdeutschen Rentenversicherungen. Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis
Leitsatz (redaktionell)
Für die Anerkennung einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI ist die formelle Anerkennung der Verfolgteneigenschaft iS des § 1 BEG durch die zuständigen Entschädigungsbehörden nicht erforderlich. Maßgeblich ist allein der Ausgleich rentenrechtlicher Nachteile für infolge der verfolgungsbedingten Flucht nicht zurückgelegte Beitragszeiten.
Bei mehrsprachigen Personen lässt sich die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis i.S. des § 17a FRG nicht allein nach ihrer Sprachfertigkeit beurteilen. Zu ermitteln ist auch, ob die deutsche Sprache im persönlichen Lebensbereich auch überwiegend gebraucht wurde.
Normenkette
SGB VI § 250 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; BEG § 1; FRG § 17a
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.12.2002; Aktenzeichen S 11 (12) RJ 207/98) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2002 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Altersrente, die insbesondere von der Feststellung einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit von Juni 1942 bis Mai 1945 abhängt.
Die Klägerin, die Jüdin ist, wurde am 00.00.1928 in C, Distrikt M, Polen, geboren und lebt seit 1948 in Israel. Sie besuchte bis Juni 1939 eine polnischsprachige Volksschule.
Am 01.03.1995 beantragte sie Altersrente unter Anerkennung von Beitrags- und Ersatzzeiten. Hierzu gab sie u. a. an, sie sei NS- Verfolgte; von April 1946 bis Juli 1948 habe sie beitragspflichtig als Schneiderin im DP-Lager V in Deutschland gearbeitet.
Sie hat ausweislich einer Bestätigung des zuständigen israelischen Versicherungsträgers in Israel keine Rentenversicherungszeiten nach dortigem Recht erworben.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 14.09.1995 ab, weil keine Beitragsleistung zur deutschen Rentenversicherung feststellbar sei.
Nachdem die Klägerin u. a. Zeugenerklärungen sowie Lohnlisten der Stadt V über Beschäftigungszeiten von 1947 bis 1948 vorgelegt hatte, wies die Beklagte ihren Widerspruch unter dem 04.08.1998 mit der Begründung zurück, zwar liege eine Beitragszeit in der deutschen Rentenversicherung vom 01.09.1947 bis 31.05.1948, beruhend auf der Tätigkeit im DP-Lager V, vor. Weil die geltend gemachte Ersatzzeit nicht berücksichtigt werden könne, könne Regelaltersrente mangels erfüllter Wartezeit nicht bewilligt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 25.08.1998 Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Sie hat vorgetragen, sie sei vor der drohenden nationalsozialistischen Verfolgung in die Sowjetunion geflohen, wo sie sich zunächst in Sibirien aufgehalten habe.
Das SG hat Auskünfte des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes, des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, der LVA Württemberg, des Stadtarchivs V, der AOK V sowie der BfA eingeholt; wegen des Ergebnisses der Auskünfte wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. September 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 1998 zu verurteilen, ihr Altersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von April 1946 bis Juli 1948 sowie einer Ersatzzeit vom 10. Juni 1942 bis zum 31. Mai 1945 zu gewähren.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 07.05.2002 weitere Beitragszeiten der Klägerin von April 1946 bis August 1947 und von Juni 1948 bis Juli 1948 anerkannt und im Übrigen beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 03.12.2002 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Altersrente unter Berücksichtigung sowohl der geltend gemachten Beitrags- als auch der Ersatzzeiten zu gewähren. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, neben der von der Beklagten zwischenzeitlich anerkannten Beitragszeit liege noch eine Ersatzzeit vom 10.06.1942 bis Mai 1945 nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 des sechsten Buches des Sozialgerichtsgesetzbuches (SGB VI) vor. Die Klägerin sei auch ohne Anerkennung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) durch die Entschädigungsbehörden als Verfolgte im Sinne des § 1 BEG anzusehen. Sie sei Verfolgte aus Gründen der Rasse, weil sie Jüdin sei. Die Annahme der Verfolgteneigenschaft scheitere auch nicht daran, dass sie nur deshalb nicht Opfer konkreter nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen geworden sei, weil sie sich der nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges und der Besetzung ihres Heimatortes durch die Deutschen drohenden Judenverfolgung durch Flucht in das Innere der Sowjetunion entzogen habe. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Kl...