Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigung für ein durch Inzest genetisch geschädigtes Kind
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Opferentschädigungsrecht setzt nach § 1 Abs. 1 OEG voraus, dass eine natürliche Person durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
2. Ist das geschädigte Kind aus einer Inzestbeziehung seiner Mutter zu deren Vater hervorgegangen, so kommt eine Opferentschädigung des Kindes nur dann in Betracht, wenn die Mutter zum Geschlechtsverkehr gezwungen oder hierzu massiv angehalten worden ist.
3. Inzestkinder fallen nicht grundsätzlich unter den Schutzbereich des § 1 OEG. Die Inzestbeziehung mit einem Kind stellt allein wegen Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung des Kindes ohne weiteres eine Gewalttat dar. Bei der Mutter des Kindes ist dagegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht nicht eingeschränkt.
4. Sind genetische Schäden nur Folgen des Inzests, so kommt insoweit eine Opferentschädigung des Kindes nicht in Betracht.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.08.2006 wird zurückgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 00.00.1974 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)
Die am 00.00.1947 geborene Mutter des Klägers, F T, unterhielt eine inzestuöse Beziehung zu ihrem Vater, B T, aus der zumindest zwei Kinder, der Kläger und sein älterer Bruder E (geb. 00.00.1976) hervorgegangen sind. Bei beiden Kindern ist dessen Vaterschaft festgestellt (N: Urteil Amtsgericht - AG - Bonn vom 25.07.2005, 42 F 689/04). Der Kläger hat drei weitere Geschwister, die - so wird klägerseits vermutet - ebenso aus dieser Beziehung stammen, wie zwei weitere totgeborene Kinder. Die Mutter des Klägers lebt seit 1968 bis heute in der Wohnung ihres Vaters. Zuvor wohnte sie bei ihrer von dem Vater getrennt lebenden Mutter I T. Die Ehe von I und B T wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 03.03.1992 geschieden. Auf das von dem Kläger zu den Akten gereichte Urteil wird Bezug genommen.
Der Betreuer des Klägers F1 X1 beantragte am 5.5.2005 (E-Mail) und mit Schreiben vom 22.5.2005 Leistungen nach dem OEG, insbesondere Heilbehandlung wegen der psychischen Probleme. Aufgrund der Inzestbeziehung zwischen seiner Mutter und ihrem Vater seien als Schädigungsfolgen eine Trichterbrust mittleren Grades, eine starken Kyphose der Wirbelsäule, erhebliche Atemschwierigkeiten, ein Schulterhochstands links, ein um etwa 10 cm verkürzter linker Oberarm, ein posttraumatisches Belastungssyndroms und eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung festzustellen. Der Kläger sei Opfer einer strafbaren Handlung geworden. Es sei wahrscheinlich, dass Kinder aus einer Inzestbeziehung behindert zur Welt kommen würden. Als Tathandlung gab er im Antrag weiterhin an: "Misshandlung durch die Eltern von früher Kindheit an, durch Polizei aus dem Elternhaus geholt". Der Kläger fügte dem Antrag die Abschrift eines psychiatrischen Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie L W vom 05.08.1995 bei. Das Gutachten enthält auch fremdanamnestische Angaben der von der SV gehörten Gruppenleiter des C1-Hause Herrn U und Frau M. Diesen war danach bekannt, dass in der Ursprungsfamilie des Klägers Verwahrlosung geherrscht habe und dass alle Kinder in Heimen untergekommen seien. Des Weiteren enthält das Gutachten die Angaben der ehemaligen Pflegemutter des Klägers, dass die leibliche Mutter mit ihrem Vater und ihrem Bruder sehr isoliert gemeinsam in einer Wohnung gewohnt habe. In diesem Haushalt sei sehr viel Alkohol konsumiert worden, es habe ein umgekehrter Tag-Nacht-Rythmus geherrscht. Die Sachverständige hat beim Kläger als Befund einen Restzustand von geistig-seelischer Entwicklungsverzögerung und Verhaltensgestörtheit aufgrund von frühkindlicher Verwahrlosung und Traumatisierung angenommen. Außerdem liegt ein für das Amtsgericht Königswinter gefertigtes Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie und Nervenheilkunde Dr. X vom 31.10.2000 vor, aus welchem ua hervorgeht, dass der Kläger keine eigene Erinnerung an die Umstände hat, aufgrund derer er 1980 durch das Jugendamt aus der elterlichen Wohnung geholt wurde. Auch dieser Sachverständige hat eine geistig-psychosoziale Entwicklungsretardierung und Verhaltensabnormität auf dem Boden einer frühkindlichen Depravierung sowie einer fortgesetzten psychoemotionalen Traumatisierung angenommen.
Die Versorgungsverwaltung lehnte mit Bescheid vom 20.12.200, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 15.02.2006 den Antrag des Klägers ab, weil dieser nicht Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen täglichen Angriffs iSd § 1 Abs 1 S 1 OEG sei. Ein Kind aus einer Inzestbeziehung habe nur dann einen Anspruch nach dem OEG wegen Erbkrankheiten, wenn der Zeugungsakt eine Gewalttat gewesen sei. Dies sei nur dann der Fall, w...