Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung von Verfolgungsersatzzeiten. nationalsozialistische Verfolgung. Zwangssterilisierung. Aufenthalt in einer Heilanstalt. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die Zeit eines Zwangsaufenthaltes in einer Heilanstalt von 1938 bis 1943 war keine Ersatzzeit nach § 250 Abs 1 Nr 4 SGB 6.
2. Wer aus erbbiologischen Gründen sterilisiert wurde, gehörte nicht zu den rassisch Verfolgten, selbst wenn die Sterilisierung zur Reinhaltung der Rasse von fehlerhaften Erbmerkmalen durchgeführt wurde.
3. § 250 Abs 1 Nr 4 SGB 6 ist nicht verfassungswidrig auch wenn die Norm den Personenkreis der Zwangssterilisierten, die in Anstalten untergebracht waren nicht per se begünstigt, sondern nur dann, wenn zusätzlich die Voraussetzungen des § 1 BEG erfüllt sind.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 29. April 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Berücksichtigung der Zeit vom 31.5.1938 bis zum 20.12.1943 als Verfolgungsersatzzeit.
Der am 00.00.1924 geborene Kläger wurde laut einer ärztlichen Bescheinigung vom 12.2.1954 am 13.1. 1933 unter der Diagnose "Imbecillitas minor (1a)" in die "Westfälisch evangelische Heil- und Pflegeanstalt X" (Kreis N) verbracht und am 6.11.1941 in die "Q-Heilanstalt H" verlegt, wo er bis zum 7.2.1942 verblieb. Anschließend befand er sich bis zu seiner Entlassung am 14.12.1943 in der Q Heilanstalt E. Aufgrund Beschlusses des "Erbgesundheitsgerichts" Dortmund vom 30.4.1943 (13a XIII 10/43) wurde er am 24.11.1943 "wegen angeborenem Schwachsinn" sterilisiert.
Seinen Antrag auf Entschädigungsleistungen für Schaden an Körper und Gesundheit, für Schaden an Freiheit, im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen vom 6.7.1958 lehnte der Regierungspräsident Detmold mit Bescheid vom 29.8.1958 ab: Die Antragsfrist des § 189 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) sei versäumt. Abgesehen davon seien die allgemeinen Voraussetzungen gemäß § 1 Abs.1 BEG nicht erfüllt. Aus den vom Kläger beigebrachten Beweisunterlagen gehe eindeutig hervor, dass der Kläger unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses gefallen und wegen angeborenen Schwachsinns sterilisiert worden sei. Unfruchtbarmachungen auf Grund von Beschlüssen des Erbgesundheitsgerichts stellten grundsätzlich keine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme im Sinne des BEG dar.
Zur Abfindung der durch die Zwangssterilisation erlittenen Nachteile wurde dem Kläger zunächst von der Oberfinanzdirektion (OFD) Münster eine einmalige Beihilfe in Höhe von 5000 DM und durch Bescheid vom 21.8.1990 eine laufende Beihilfe von monatlich 100 DM bewilligt. Mit Bescheid vom 15.10.2003 erkannte die OFD Köln nach den Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) vom 7.3.1988 - AKG- Härterichtlinien- eine einmalige Härtebeihilfe in Höhe von 2556,46 EUR zu. Die OFD begründete ihre Entscheidung damit, dass dem Kläger diese weitere einkommensunabhängige Beihilfe zu bewilligen sei, da neben der erlittenen und bereits entschädigten Zwangssterilisation, eine weitere NS- Unrechtsmaßnahme, der Freiheitsentzug gemäß § 5 AKG vorliege. Der Kläger habe sich über 9 Jahre in rechtsstaatswidrigen Einrichtungen bzw Haftstätten im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der AKG- Richtlinie befunden. Durch die Einweisung in diese Einrichtungen sei der Kläger als Opfer von Organen des NS- Staates begangener Amtspflichtverletzung im Sinne von § 839 BGB iVm § 5 AKG anzusehen.
Durch Bescheid der Beklagten vom 15.6. 1978 wurde dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt. Die Zeit vom 31.5.1938 bis 20.12.1943 wurde dabei, ebenso wie bei der Umwandlung dieser Rente in das ab 1.6.1989 gewährte Altersruhegeld (Bescheid vom 15.3.1989), als "nicht versichert" bewertet.
Am 28.4.2003 beantragte der Kläger die Neuberechnung seiner Altersrente; die Zeit seiner haftähnlichen Unterbringung müsse mit berücksichtigt werden. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 20.8.2003 ab: Die Entschädigungsbehörde Detmold habe mit Bescheid vom 29.8.1958 über die Verfolgteneigenschaft entschieden und danach erfülle der Kläger die Voraussetzungen des § 1 BEG nicht.
Der Kläger widersprach: Es sei zwar richtig, dass bei ihm nicht die Verfolgteneigenschaft des § 1 BEG vorliege, dies besage jedoch auf keinen Fall, dass nicht von NS-Unrecht ausgegangen werden könne. Es sei von der OFD Köln festgestellt worden, dass ihm NS- Unrecht widerfahren sei. Die Zeit des Freiheitsentzuges müsse als Ersatzzeit berücksichtigt werden.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 20.1.2004 zurück: Der Kläger sei zwar von NS-Unrecht betroffen, gehöre aber nicht zum Personenkreis des § 1 BEG. Bei den Beihilfen habe es sich um Zahlungen geh...