Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufrechnung des Grundsicherungsträgers mit einem Erstattungsanspruch. Insolvenzverfahren. Restschuldbefreiung. fehlende Aufrechnungslage. Unpfändbarkeit der Leistungen nach §§ 19 ff SGB 2. Vollstreckungshindernis

 

Orientierungssatz

1. Hat sich infolge einer erteilten Restschuldschuldbefreiung die Erstattungsforderung des Grundsicherungsträgers in eine Naturalobligation, dh in eine unvollkommene Forderung, gewandelt, liegt keine Aufrechnungslage iS von § 387 BGB vor, sodass der Grundsicherungsträger nicht nach § 43 Abs 1 SGB 2 aufrechnen kann.

2. Das SGB 2 sieht für die Leistungen nach den §§ 19ff SGB 2 keinen besonderen Pfändungsschutz vor, sodass die allgemeinen Vorschriften der §§ 850ff ZPO anwendbar sind. Dies führt dazu, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 regelmäßig unpfändbar sind, weil diese Geldleistungen nur oberhalb des für Arbeitseinkommen geltenden Pfändungsfreibetrags (§ 850c ZPO) gepfändet werden können, der regelmäßig deutlich höher ist als die Leistungen nach dem SGB 2 (vgl BGH vom 25.10.2012 - VII ZB 47/11 = NZS 2013, 315).

3. Die Umwandlung der Erstattungsforderung in eine Naturalobligation durch die Restschuldbefreiung führt zu einem Vollstreckungshindernis iS von § 257 Abs 1 Nr 3 AO 1977 (vgl FG Münster vom 9.9.2016 - 4 K 2154/15 = EFG 2016, 1891).

4. Aufgrund der Restschuldbefreiung ist eine Vollstreckung nach den Vorschriften der ZPO ebenfalls unzulässig. Einer zur Tabelle angemeldeten Forderung steht nach Erteilung der Restschuldbefreiung zwar nicht mehr das Vollstreckungsverbot aus § 294 Abs 1 InsO entgegen, doch entfällt die Vollstreckbarkeit aus der Tabelle des § 201 Abs 2 S 1 InsO. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung darf den Gläubigern keine vollstreckbare Ausfertigung aus der Eintragung in der Tabelle mehr erteilt werden (vgl AG Göttingen vom 4.6.2008 - 74 IK 159/00 = ZInsO 2008, 1036).

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.05.2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die Feststellung des Sozialgerichts, er sei nicht berechtigt, eine Forderung von 13.998,02 Euro gegen den Kläger geltend zu machen.

Der am 00.00.1957 geborene Kläger bezog in der Vergangenheit Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, die ihm u.a. für den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.09.2007 bewilligt worden waren (Bescheide des Beklagten vom 22.12.2006, 13.02.2007, 02.06.2007, 16.08.2007). Durch Mitteilung des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung E vom 03.08.2009 erlangte der Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger am 29.03.2007 mit 115.500 EUR an nicht deklariertem Bargeld beim versuchten Grenzübertritt von Deutschland in die Schweiz festgehalten wurde. Durch Urteil des Amtsgerichts L - 10 OWI 540 Js xxx/08 vom 10.07.2008 wurde der Kläger wegen Nichtanzeige mitgeführten Bargeldes zu einer Geldbuße von 9.200 EUR verurteilt.

Mit Bescheid vom 09.09.2009 (Entwurf vom 08.09.2009 Bl.264 VA) hob der Beklagte die Bewilligungen für den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.09.2007 auf und machte einen Erstattungsanspruch hinsichtlich zu Unrecht gezahlter Leistungen sowie der Beiträge zur Kranken - und Pflegeversicherung von insgesamt 13.998,12 Euro geltend; ein weiterer Bescheid vom 09.09.2009 (Entwurf vom 09.09.2009 Bl. 269 VA) regelt Aufhebung und Erstattung für den Zeitraum vom 01.08.2008 bis zum 31.07.2009. Den gegen zwei Bescheide vom 09.09.2009 eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2009 betreffend den Bescheid für den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.09.2007 als unbegründet zurück.

Am 02.12.2009 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 09.09.2009 betreffend den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.09.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 erhoben.

Mit Beschluss vom 15.09.2010 hat das Amtsgericht L, 94 IN xx/10, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Die Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Forderungsmanagement, hat die Erstattungsforderungen aus den beiden Bescheiden vom 09.09.2009 zur Tabelle angemeldet, nicht jedoch als deliktische Forderungen (§ 302 InsO). Während des laufenden Insolvenzverfahrens ist die Erstattungsforderung nicht durch Aufrechnung getilgt oder in anderer Weise gemindert worden. Durch Beschluss vom 14.11.2016 erteilte das Amtsgericht dem Kläger Restschuldbefreiung.

Im Erörterungstermin am 18.12.2013 hat die Kammervorsitzende des Sozialgerichts darauf hingewiesen, dass das Verfahren infolge der Insolvenzeröffnung am 15.09.2010 gemäß §§ 202 SGG, 240 ZPO unterbrochen sei. Die Forderung falle in die Masse und sei auch nicht als Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung zur Tabelle angemeldet worden. Aus diesem Grund erlösche die Forderung im Falle einer Restschuldbefreiung, ...

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