Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. ausländisches Kind. Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Unterbringung im Heim. Bedürftigkeit. Antragstellung durch Sozialhilfeträger. Anwendbarkeit von § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst b BKGG 1996. Alter. Erwerbstätigkeit. Benachteiligung eines nicht bedürftigen ausländischen Kindes bis zur Vollendung des 15. Lebensjahrs. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte und Begründung des Gesetzentwurfs geben einen Hinweis darauf, dass die Bestimmung des § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst b BKGG 2006 (juris: BKGG 1996) nur auf nicht freizügigkeitsberechtigte ausländische Eltern, die für ihre Kinder Kindergeld beanspruchen, nicht aber auf nicht freizügigkeitsberechtigte ausländische Kinder, die für sich selbst Kindergeld beantragen und im Antragszeitpunkt das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und infolgedessen nicht erlaubt erwerbstätig sein dürfen, anzuwenden ist.
2. Allerdings begegnet der Ausschluss nicht freizügigkeitsberechtigter ausländischer Kinder, die über ausreichend Einkommen oder Vermögen verfügen, um sich - ohne oder mit dem Kindergeld - selbst zu unterhalten, allein auf der Grundlage des § 1 Abs 3 Nr 3 BKGG 2006 (juris: BKGG 1996) im Hinblick auf den Gleichbehandlungsanspruch aus Art 3 Abs 1 GG sowie des Diskriminierungsverbots des Art 14 EMRK (juris: MRK) erheblichen Bedenken.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.11.2009 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Kindergeld. Der am 00.00.1992 in L/ Kongo (früher Zaire) geborene Beigeladene zu 2) reiste am 22.10.1994 mit seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Letztere verstarb am 24.02.1998. Der Aufenthalt des Vaters ist unbekannt. Der Asylantrag des Beigeladenen zu 2) wurde rechtskräftig abgelehnt (Urteil des VG Hannover vom 25.05.1998). Der Aufenthalt des Beigeladenen zu 2) in der Bundesrepublik Deutschland wurde weiterhin geduldet. Ab dem Jahr 2005 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis ohne die Gestattung der Erwerbsfähigkeit nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Vormundschaft für ihn erhielt zunächst sein Onkel und sodann seine Großmutter (Beigeladene zu 1), in deren Haushalt der Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 01.09.2004 bis 09.02.2005 aufgenommen wurde.
Nachdem der Beigeladene zu 2) erneut ab dem 09.02.2005 in einem Heim der Klägerin aufgenommen worden war, beantragte diese die Bewilligung von Kindergeld aufgrund ihres berechtigten Interesses an der Leistung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.06.2005 ab, weil der Beigeladene zu 2) weder über eine Niederlassungserlaubnis noch eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2, den §§ 31, 37 und 38 des AufenthG oder einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem Deutschen oder zu einer von Nummer 1 bis 3) erfassten Personen verfüge.
Der Widerspruch der Klägerin, mit dem diese geltend machte, aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 (1 BvL 4/97 und 1 BvR 2515/95) könne ein Anspruch auf Kindergeld auch für Ausländer mit Aufenthaltsbefugnis bzw. Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gegeben sein, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.08.2005).
Die Klägerin hat am 31.08.2005 vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Differenzierung des Anspruchs auf Kindergeld je nach Art des Aufenthaltstitels verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetzes (GG). Die 1985 eingeführte Regelung über den Anspruch von Kindern bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen auf Kindergeld diene zwar nicht dem Familienlastenausgleich, wohl aber der Vermeidung sozialer Härten. Die unterschiedliche Behandlung dieses Personenkreises bedürfe infolgedessen rechtfertigender Gründe. Diese könnten aber nicht allein in der Art des Aufenthaltstitels gefunden werden.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Beigeladene zu 2) erfülle nicht die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld. Zusätzlich fehle es seit dem 21.12.2007 an der Voraussetzung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland, weil sich der Beigeladene zu 2) seit diesem Zeitpunkt im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme in Portugal aufhalte.
Mit Urteil vom 04.11.2009 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für den Beigeladenen zu 2) ab März 2005 bis November 2009 Kindergeld zu bewilligen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 07.01.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.01.2010 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, Kindergeld solle nur der erhalten, der sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalte. Die Differenzierung nach Art des Aufenthaltst...