Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Aufrechnung von Beitragserstattungsansprüchen der Krankenkasse mit Ansprüchen des Insolvenzverwalters auf Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung

 

Orientierungssatz

1. Bestehen zugunsten des Insolvenzverwalters über das Vermögen eines Arbeitgebers gegenüber der Krankenkasse Erstattungsansprüche aufgrund des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (juris: AufAG) und stehen der Krankenkasse gegenüber dem Insolvenzschuldner des Arbeitgebers Forderungen aus Beitragsrückständen zu, so kann die Krankenkasse gem §§ 94, 96 Abs 1 Nr 3 InsO die Aufrechnung erklären.

2. Die Aufrechnung ist zulässig, wenn die Krankenkasse als Insolvenzgläubigerin die Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch eine gem §§ 131, 133 InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.

3. Die Vermutung gem § 133 Abs 1 S 2 InsO führt zwar zu einer Beweiserleichterung, nicht jedoch zu einer Umkehr der Beweislast.

4. Die Krankenkasse muss sich als Einzugsstelle Kenntnisse des Hauptzollamtes über von weiteren Einzugsstellen betriebenen Vollstreckungsverfahren entsprechend § 166 BGB zurechnen lassen. Waren der Krankenkasse lediglich Indizien auf bestehende Liquiditätsengpässe des Insolvenzschuldners bekannt, so hindert dies nicht die Zulässigkeit der Aufrechnung. Erforderlich ist insoweit die positive Kenntnis drohender Zahlungsunfähigkeit.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.11.2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt ¾ der Kosten des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten allein noch darüber, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch in Höhe von 649,60 Euro aufgrund des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (AAG) geltend machen kann. Denn die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 23.11.2012 wurde durch Urteil des Bundesozialgerichts (BSG) vom 31.05.2016 zurückgewiesen, soweit die Klage auf Zahlung von 338,50 Euro vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtet war. In Höhe von 2.870,51 Euro hat sich der Rechtsstreit durch angenommenes (Teil)Anerkenntnis der Beklagten erledigt.

Aufgrund eines Gläubigerantrags vom 21.10.2010 ist der Kläger durch Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 11.03.2011 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der N T GmbH (nachfolgend Insolvenzschuldnerin) bestellt worden.

Die Insolvenzschuldnerin machte gegenüber der Beklagten die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung in Höhe von insgesamt 3.520,11 Euro geltend. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 05.10.2010, 20.09.2010, 19.08.2010 und 26.07.2010 der Insolvenzschuldnerin mit, dass die geltend gemachten erstattungsfähigen Aufwendungen bestünden, jedoch auf dem Beitragskonto der Insolvenzschuldnerin noch Beitrags- und Nebenforderungen zwischen 12.211,29 Euro und 18.323,35 Euro offen seien. Weiter heißt es in den jeweiligen Schreiben: "Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Ihre Aufwendungen daher mit den offenen Beiträgen, Säumniszuschlägen und Mahnkosten vollständig verrechnet haben."

Mit Schreiben vom 23.10.2011 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Beklagte Beitragszahlungen in Höhe von insgesamt 15.449,- Euro erbracht worden seien, welche zurückgezahlt werden müssten. Er erklärte die Anfechtung dieser Zahlungen nach § 129 ff. Insolvenzordnung (InsO). Die Beklagte erstattete daraufhin einen Betrag in Höhe von 12.289,29 Euro und führte weiter aus, dass sie die darüber hinaus angefochtenen Aufrechnungen von Erstattungsansprüchen nach dem AAG nicht erstatten könne, da die Aufrechnungen zulässig seien; dem stehe auch § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht entgegen. Der Kläger vertrat mit Schreiben vom 09.02.2012 die Auffassung, dass die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Zulässigkeit der Aufrechnungen entgegenstehe.

Der Kläger hat am 12.07.2012 Klage erhoben, mit der er begehrt hat, die Beklagte zur Zahlung von 3.520,11 Euro sowie eines Verzugsschadens von 338,51 Euro (nebst Zinsen) zu verurteilen. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsO der von der Beklagten erklärten Aufrechnung entgegenstehe. Danach sei eine Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Beklagte als Insolvenzgläubigerin die Möglichkeit zur Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe. Das sei hier der Fall. Eine Rechtshandlung gemäß § 129 Abs. 1 InsO sei jedes von einem Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöse und das Vermögen des Insolvenzschuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern könne. Als Rechtshandlung könne an jedes Geschäft angeknüpft werden, das zum anfechtbaren Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führe. Zu den Rechtsha...

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