Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. häusliche Pflege. Erstattung der Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung. Angemessenheit der Alterssicherung. freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. analoge Anwendung des § 44 Abs 1 S 1 SGB 11. anderweitige Sicherstellung einer angemessenen Alterssicherung
Orientierungssatz
1. Eine anderweitige Sicherstellung einer angemessenen Alterssicherung iS des § 64f Abs 1 SGB 12 ist nur gegeben, wenn während der Pflegetätigkeit ein anderweitiger Aufbau einer Alterssicherung stattfindet. Nicht relevant ist, ob die Pflegeperson bereits vor der Pflegetätigkeit eine anderweitige Alterssicherung aufgebaut hatte.
2. Nicht erforderlich ist, dass durch die Zahlung der Beiträge eine Alterssicherung erreicht wird, die im Alter die Inanspruchnahme von Sozialhilfe überflüssig macht.
3. Das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit der Alterssicherung erfordert eine angemessene Relation zwischen dem der Pflegeperson entstehenden Aufwand und der dadurch erarbeiteten Alterssicherung. Die Höhe des Anspruchs folgt aus einer analogen Anwendung des § 44 Abs 1 S 1 SGB 11.
Normenkette
SGB XII § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. f., § 64f Abs. 1; SGB XI § 44 Abs. 1 S. 1; SGB VI § 7 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Urteil vom 13.01.2023; Aktenzeichen S 22 SO 406/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.01.2023 geändert.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 05.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2021 verurteilt, für die Beigeladene ab dem 01.01.2023 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen iHv 43 % der Bezugsgröße zu übernehmen.
Die Beklagte hat der Klägerin in beiden Instanzen die Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Altersvorsorgebeiträge für ihre Pflegeperson, die Beigeladene, ab dem 01.01.2023.
Die 0000 geborene verwitwete Klägerin verfügt nicht über Einkommen und Vermögen. Zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezieht sie von der Beklagten Grundsicherung nach dem SGB XII. Die Klägerin ist nicht kranken- und pflegeversichert und erhält entsprechende Leistungen nach dem SGB XII.
Bei der Klägerin liegen ab dem 07.09.2018 die Voraussetzungen des Pflegegrades 3 vor. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 25.10.2018 Pflegegeld nach dem SGB XII. Pflegeperson ist ihre Tochter, die Beigeladene. Diese wohnt im gleichen Haus und pflegt die Klägerin mehrere Stunden am Tag, oft auch in der Nacht. Die Tochter ist geschieden, nicht erwerbstätig und bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie hatte im Jahr 2021 eine Anwartschaft auf eine Regelaltersrente mit Beginn am 01.12.2032 iHv 216,34 EUR erworben.
Den Antrag der Klägerin vom 26.01.2021 auf Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen für die Beigeladene lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.05.2021 ab. Eine Beitragsübernahme nach § 64f Abs. 1 SGB XII komme nur in Betracht, wenn bis zum Renteneintritt noch eine angemessene Alterssicherung oberhalb des Sozialhilfeniveaus erreicht werden könne. Das sei bei der Tochter der Klägerin nicht der Fall.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 04.06.2021 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2021 zurückwies.
Am 01.12.2021 Klage erhoben. Die Beigeladene habe noch keine ausreichenden Rentenanwartschaften erworben, um ihren Lebensunterhalt im Alter sicherzustellen. Wenn man zusätzlich noch fordern würde, dass sie mit den aufgrund der Pflege geleisteten Beiträge über das Sozialhilfeniveau komme, würde für die Vorschrift praktisch kein Anwendungsbereich verbleiben.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 05.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2021 zu verpflichten, Beiträge der Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt. Die Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen sei nicht angemessen iSv § 64f SGB XII.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Sozialgerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Das Sozialgericht hat die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 13.01.2023, der Klägerin zugestellt am 06.03.2023, abgewiesen. Ein Anspruch auf Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen für Pflegepersonen nach § 64f Abs. 1 SGB XII bestehe nur, wenn die Pflegeperson noch eine angemessene Alterssicherung oberhalb des Sozialhilfeniveaus erreichen könne. Das sei bei der Beigeladenen im Hinblick auf ihre geringen Rentenanwartschaften nicht der Fall.
Die Klägerin hat am 23.03.2023 Berufung eingelegt. Sie hat sich auf das Urteil des Senats vom 16.02.2023 -L 9 SO 387/21 berufen. Aus den in diesem Urteil aufgestellten Rechtsgrundsätzen ergebe sich ein Anspruch auf Altersvorsorgebeiträge auch für die Beigeladene.