Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Mitteilungspflicht eines Krankenhauses nach § 7 Abs 2 S 2 SGB 11. Benachrichtigung der Pflegekasse, wenn sich Pflegebedürftigkeit abzeichnet oder festgestellt wird. Unterlassen. Pflichtverletzung ist der Pflegekasse zuzurechnen. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bei verspäteter Antragstellung auf Pflegegeld
Orientierungssatz
1. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass einem Versicherten durch eine Pflichtverletzung eines Leistungsträgers oder eines Dritten ein Nachteil entstanden ist.
2. Nach § 7 Abs 2 S 2 SGB 11 obliegt es ua den behandelnden Ärzten und Krankenhäusern, mit Einwilligung der Versicherten unverzüglich die Pflegekasse zu benachrichtigen, wenn sich der Eintritt von Pflegebedürftigkeit abzeichnet oder wenn Pflegebedürftigkeit festgestellt wird. Dabei kommt es auf die objektiv vorliegende und für das Klinikpersonal grundsätzlich erkennbare Sachlage an, weil Adressat der Verpflichtung aus § 7 Abs 2 S 2 SGB 11 "das Krankenhaus" als Organisationseinheit ist und nicht die einzelnen Mitarbeiter.
3. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht aus § 7 Abs 2 S 2 SGB 11 ist bereits darin zu erkennen, dass der Versicherte nicht um sein Einverständnis gebeten wurde, die entsprechenden Informationen an die Pflegekasse zu übermitteln. Ein solches Unterlassen stellt im Rahmen von § 7 Abs 2 S 2 SGB 11 eine den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auslösende Pflichtverletzung dar.
4. Das Verhalten eines anderen (Leistungs-)Trägers/Dritten wird dem zuständigen Leistungsträger zugerechnet, wenn zwischen beiden eine Funktionseinheit besteht. Ist der betreffende (andere) Leistungsträger arbeitsteilig bzw funktionell in den Verwaltungsablauf bzw in die Wahrnehmung der Aufgaben des zuständigen Leistungsträgers eingebunden, so hat der zuständige Leistungsträger in diesen Fällen nicht nur für Fehler der eigenen Bediensteten, sondern auch für Fehler der in das Verwaltungsverfahren eingeschalteten Organisationseinheit (und deren Bediensteten) einzustehen, wenn deren Handeln oder Unterlassen zu Nachteilen für den Berechtigten geführt hat.
5. Für den erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden reicht es beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus, wenn die Pflichtverletzung nicht die alleinige, jedoch die (allein) "wesentliche" Ursache für die ausgleichsbedürftige Situation ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.06.2017 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 23.12.2014 und vom 18.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2015 verurteilt, dem Kläger für die Zeit von Juli 2013 bis Oktober 2014 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe I in Form von Pflegegeld für die Zeit von Juli 2013 bis Oktober 2014.
Der am 00.00.2003 geborene Kläger, der bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert ist, erkrankte an einem bösartigen Hirntumor (anaplastisches Medulloblastom). Nach Erstdiagnose am 29.05.2013 (im Klinikum S und sofortiger Verlegung) erfolgte eine neurochirurgische Tumorentfernung am 31.05.2013 (Freitag) in der Uni-Klinik L.
Zu einem Erstkontakt mit dem Sozialdienst der Klinik kam es am 03.06.2013. Die für den Kläger zuständige Mitarbeiterin des Sozialdienstes war die Zeugin N. Am 07.06.2013 fand ein ärztliches Aufklärungsgespräch statt, an dem neben dem Kläger und seinen Eltern Prof. Dr. T - Leiter der Pädiatrischen Onkologie und Hämatologie der Uni-Klinik L - und die Zeugin N teilnahmen.
Die Entlassung des Klägers aus der stationären Behandlung erfolgte am 10.06.2013. Zum Beginn bzw. zur Durchführung und Überwachung einer anschließenden kombinierten Strahlen-/Chemotherapie wurde der Kläger nochmals in den Zeiträumen vom 24. bis 28.06.2013 vom 17. bis 19.07.2013 und vom 05. bis 08.08.2014 in der Uni-Klinik L aufgenommen. Im Übrigen erfolgte die Anschlusstherapie im Wege tagesklinischer Behandlung.
Zu Hause wurde der Kläger von seinen Eltern betreut und gepflegt, wobei in der Zeit von Sommer 2013 bis September 2014 eine Unterstützung durch eine Haushaltshilfe stattfand. Die Kosten dafür trug der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers ebenso wie die Kosten einer im August 2013 erfolgten Versorgung mit einem Rollstuhl.
In der Zeit vom 20.10. bis 17.11.2014 absolvierte der Kläger (gemeinsam mit seinen Eltern) eine familienorientierte stationäre Reha-Maßnahme. Anlässlich eines Infoabends in der Reha-Klinik erfuhren die Eltern des Klägers von der Möglichkeit, Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung für den Kläger zu erhalten.
Sie stellten am 18.11.2014 für den Kläger einen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung (insbesondere Pflegegeld) bei der...