Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Leistungserbringungsrecht. Verbot der Durchführung eines Vergabeverfahrens. Vereinbarkeit mit europäischem Vergaberecht
Orientierungssatz
1. Aus den §§ 75 ff SGB 12 aF folgt ein Verbot zur Durchführung eines Vergabeverfahrens.
2. Ein Verstoß gegen europäisches Vergaberecht liegt darin nicht, da weder ein öffentlicher Auftrag noch eine Dienstleistungskonzession im Sinne des Vergaberechts vorliegt.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.03.2019 geändert und festgestellt, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens 16/10-2015-0123 und die Zuschlagserteilung durch die Beklagte rechtswidrig waren.
Die Beklagte trägt von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen drei Viertel, die Kläger ein Viertel.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens für den Einsatz von Integrationshelfern an Schulen in E für Kinder mit Behinderung im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Der Kläger zu 1) ist ein ortsgebundener Verband der freien Wohlfahrtspflege und gehört zu dem als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege anerkannten Diakonischen Werk der evangelischen Kirche im Rheinland und dadurch dem Diakonischen Werk der evangelischen Kirche in Deutschland an. Der Kläger zu 1) ist auf vielfältigen Gebieten der freien Wohlfahrtspflege in E tätig. Satzungsmäßige Zwecke sind u.a. die Erziehung von Kindern und Jugendlichen und deren heilpädagogische und jugendpsychiatrische Betreuung (§ 2 der Satzung des Klägers zu 1)). In diesem Rahmen erbringt der Kläger zu 1) auch Schulbegleitung ("TANDEM-Assistenzdienste").
Der Kläger zu 2) ist ebenfalls ein Verband der freien Wohlfahrtspflege, auf Stadtebene angesiedelt und dem Spitzenverband des N-Caritasverbandes e.V. zugehörig. Der Kläger zu 2) widmet sich satzungsmäßig "Aufgaben sozialer und caritativer Hilfe". Dazu wirkt er in der "öffentlichen Sozial-, Jugend- und Gesundheitshilfe" mit, wozu auch die Erbringung von Leistungen zur Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung gehört.
Die Kläger sind Mitglieder der "A Wohlfahrt E" (nachfolgend: A), einer Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände E, welche die Kläger in den Verhandlungen gegenüber der Beklagten regelmäßig vertritt. Nach einer Erhöhung der Stundensätze durch die A im September 2011 (von rund 12,45 Euro auf 20,35 Euro) kam es zu (Preis-)Verhandlungen zwischen der A und der Beklagten, welche ergebnislos verliefen. Im November 2013 schrieb die Beklagte die Leistung des Einsatzes von Integrationshelfern an Schulen in E erstmals öffentlich aus (nationale Ausschreibung nach VOL/A ≪Vergabe- und Vertragsordnung≫). Beide Kläger wandten sich daraufhin mittels eines Nachprüfungsantrages Ende Dezember 2013 an die Vergabekammer Rheinland, Spruchkörper E, um den Fortgang des Ausschreibungsverfahrens zu unterbinden (Az.: VK 1/2014 - L). Nachdem der Kläger zu 1) das Verfahren für erledigt erklärt hatte, wies die Vergabekammer Rheinland mit Beschluss vom 17.11.2014 den Antrag des Klägers zu 2) zurück und gab der Beklagten lediglich auf, kleinere inhaltliche Änderungen vor Wiederaufnahme des Ausschreibungsverfahrens vorzunehmen. Die Vergabekammer vertrat die Auffassung, dass sozialhilferechtliche Bestimmungen der Durchführung des Vergabeverfahrens nicht entgegenstünden. Die vom Kläger zu 2) gegen den Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf durch Beschluss vom 13.05.2015 zurück (Az.: VII Verg 38/14). Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Vergaberechts lägen aufgrund der Eigenschaft der Beklagten als öffentlicher Auftraggeberin sowie der geplanten Vergabe des Vertrages über den Einsatz von Integrationshelfern als öffentlichem Auftrag unter gleichzeitiger Erreichung des Schwellenwertes vor. Es könne dahinstehen, ob die sozialrechtlichen Bestimmungen der Durchführung eines Vergabeverfahrens entgegenstünden. Es sei allein entscheidend, dass die §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umgesetztes Gemeinschaftsrecht seien, die europarechtskonform auszulegen und damit vorrangig anzuwenden seien. Dieser Vorrang gelte auch gegenüber den nationalen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).
Der Kläger zu 2) machte unter dem 18.03.2015 ein Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf (Az.: S 17 SO 137/15) mit dem Antrag auf Unterlassung der öffentlichen Ausschreibung anhängig. Die Beklagte nahm das Ausschreibungsverfahren aus dem Jahr 2013 zurück. Infolgedessen wurde auch das anhängige Klageverfahren durch Erledigungserklärung beendet.
Anfang des Jahres 2016 führte die Beklagte unter der Vergabenummer 16/10-2015-0123 ein zweites - hier streitgegenständliches - Ausschreibungsverfahren durch, das der ersten Ausschreibung in ihren wesentlichen Zügen unter Beachtung der Anmerkungen der Vergabekammer Rheinland sowie unte...