Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Übernahme der Kosten für einen Kabelanschluss. abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12. unabweisbarer Bedarf. kein erheblich vom Durchschnittsbedarf abweichender Bedarf. Verweis auf Bedarfsdeckung durch den Regelsatz. Soziokulturelles Existenzminimum. Informationsfreiheit. Fremdsprachiges Rundfunkprogramm. Feststellungsklage. Wiederholungsgefahr. Unrichtige Rechtsmittelbelehrung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird eine beantragte Sozialhilfeleistung für einen Kabelanschluss abgelehnt und schafft der Hilfebedürftige daraufhin einen solchen Anschluss mangels wirtschaftlicher Möglichkeit nicht an, so kann eine Anfechtungs- und Leistungsklage nicht zum Erfolg führen, da von vornherein kein sozialhilferechtlich relevanter Bedarf entstanden ist. Für eine Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt ein erledigendes Ereignis iS von § 39 Abs 2 SGB 10. Rechtsschutz kann im Wege der Feststellungsklage gesucht werden; das Feststellungsinteresse begründet sich - ähnlich wie bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage - aus der Wiederholungsgefahr.

2. Für Hilfeempfänger, die wegen eines fremdsprachlichen Hintergrundes deutsches Fernsehprogramm nicht verfolgen können, sind keine zusätzlichen Sozialhilfeleistungen für einen Kabelanschluss zu erbringen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine abweichende Bedarfsbemessung nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 nicht vor. Zwar ist der Bedarf als solcher unabweisbar, da eine Verweisung auf andere fremdsprachige Informationsquellen wie zB Zeitungen mit Rücksicht auf Art 5 Abs 1 GG ausscheidet (vgl BVerfG vom 31.3.2013 - 1 BvR 1314/11 = NJW 2013, 2180). Die Aufwendungen für einen Kabelanschluss sind jedoch aus den vom Regelsatz umfassten Leistungen für gesellschaftliche Teilhabe unter Nutzung der darin enthaltenen Gestaltungsspielräume zu decken.

 

Orientierungssatz

§ 27a Abs 4 S 1 SGB 12 war auch schon vor Änderung des § 42 Nr 1 SGB 12 zum 1.1.2013 auf die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung anwendbar. Bei der Änderung handelt es sich nach der Gesetzesbegründung lediglich um eine Klarstellung.

 

Normenkette

SGB XII § 27a Abs. 1-2, 4, §§ 28, 35, 42 Nr. 1, § 73; SGB X § 44 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1 S. 1; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 66 Abs. 2, § 144 Abs. 1 S. 2

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.03.2015; Aktenzeichen B 8 SO 22/13 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, Kosten für einen Kabelfernsehanschluss als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) zu übernehmen.

Die am 00.00.1937 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1970 in Deutschland. Anfang der 1990er Jahre hat sie die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

Die Klägerin hat in der Metallindustrie gearbeitet. Sie bezieht eine Altersrente (Zahlbetrag im November 2011: 266,80 EUR). Über weiteres Einkommen und Vermögen verfügt sie nicht. Sie bewohnt allein eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 48,70 qm (November 2011: Kaltmiete 192,33 EUR zzgl. Vorauszahlungen für Nebenkosten von 40,90 EUR sowie für Heizkosten von 60,00 EUR; Gesamtbetrag - abzüglich einer Verzinsung für die Kaution - 291,62 EUR). Kosten für einen Kabelfernsehanschluss sind nicht in den Nebenkosten enthalten. Das Warmwasser wird nicht über die Heizungsanlage, sondern dezentral erzeugt.

Mit Bescheid vom 25.07.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für den Zeitraum August 2011 bis Juli 2012 i.H.v. 397,19 EUR pro Monat. Dabei berücksichtigte sie den Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 i.H.v. 364,00 EUR, einen Mehrbedarf für die dezentrale Erzeugung des Warmwassers i.H.v. 8,37 EUR sowie die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten i.H.v. 291,62 EUR. Als Einkommen der Klägerin wurde die Altersrente i.H.v. 266,80 EUR angerechnet.

Die Klägerin beantragte am 04.10.2011 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für einen Kabelanschluss. Sie beherrsche die deutsche Sprache nicht richtig; um sich zu informieren, sei sie auf den Empfang türkischsprachiger Sendungen angewiesen. Dies sei in ihrer Wohnung bislang jedoch nicht möglich. Denn eine Anlage zum Empfang von Satellitenfernsehen sei nicht vorhanden. Sie habe mehrfach mit dem Vermieter über eine Satellitenantenne gesprochen; dieser habe das jedoch stets abgelehnt, und es sei ihr verboten, eine Satellitenantenne aufzustellen. Die Kosten für den Kabelanschluss einschließlich eines Zusatzpakets mit türkischsprachigen Programmen betrügen monatlich 23,85 EUR.

Am 25.10.2011 wiederholte die Klägerin ihren Antrag. Sie könne in ihrer Wohnung mit der Zimmerantenne keine türkischsprachigen Sendungen empfangen. Die einzige Möglichkeit dazu sei die Nutzung des Kabelfernsehens. Die Kosten dafür könne sie jedoch nicht selbst aufbr...

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