Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Vertragsarztes auf Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung

 

Orientierungssatz

1. Wenn der geprüfte Vertragsarzt von sich aus Interesse am Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung (IRV) bekundet oder den Abschluss einer IRV beantragt, sind die Prüfgremien verpflichtet, in den Abschluss einer IRV einzutreten und dürfen den Abschluss einer IRV nicht aus sachfremden Gründen vereiteln. Sind die Verhandlungen gescheitert, so ist ein vom Arzt zu erstattender Mehrbetrag festzusetzen.

2. Die Verpflichtung, einem Antrag bzw. einer Anregung des geprüften Arztes auf Abschluss einer IRV nachzugehen, trifft auch den Beschwerdeausschuss.

3. Normativer fixierter Bezugspunkt der IRV ist die individuelle Richtgröße des Vertragsarztes, worüber zu verhandeln ist. Der Beschwerdeausschuss hat dem Vertragsarzt darzulegen, zu welchen Bedingungen er sich den Abschluss einer IRV vorstellen könnte und diesem ein Angebot zu unterbreiten. Unterlässt er dies, so ist der den Abschluss einer Individualvereinbarung ablehnende Beschluss des Beschwerdeausschusses aufzuheben.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.05.2012 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.03.2009 verurteilt, über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 17.09.2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Kosten für das Klage- und Berufungsverfahren trägt der Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitens des Arzneimittelrichtgrößenvolumens in den Quartalen I/2006 bis IV/2006.

Der Kläger ist als praktischer Arzt in E nieder- und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den genannten Quartalen rechnete er zwischen 569 und 679 Behandlungsfälle ab und unterschritt damit die durchschnittlichen Fallzahlen der Fachgruppe um 31 % bis 43 %. Seine Honoraranforderung überschritten die durchschnittlichen Fallkosten der Fachgruppe um 8 % bis 51 %. Bei den Arzneimitteln lag bei einem Verordnungsvolumen von insgesamt 332.049,59 EUR eine Überschreitung der Richtgrößensumme um 172.679,05 EUR vor, entsprechend 108,35 %. Die Prüfungsstelle übersandte dem Kläger die Prüfunterlagen und forderte ihn zur Stellungnahme auf, ob er (weitere) Praxisbesonderheiten geltend mache. Er gab keine Stellungnahme ab und unterzeichnete auch nicht die ihm angebotene Vereinbarung über die Verminderung des berechneten Regresses um ein Fünftel gemäß § 106 Abs. 5a Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Prüfungsstelle setzte daraufhin mit Bescheid vom 17.09.2008 einen Regress in Höhe von 36.320,65 EUR fest.

Zur Begründung seines Widerspruchs machte der Kläger im Wesentlichen geltend, das gesetzlich vorgesehene Auswahlverfahren sei in der Prüfvereinbarung nicht geregelt und es sei nicht ersichtlich, wie er in die Auffälligkeitsprüfung geraten sei. Nach § 106 Abs. 2 Satz 6 SGB V sollten Richtgrößenprüfungen in der Regel bei nicht mehr als fünf Prozent der Ärzte einer Fachgruppe durchgeführt werden. Die Festlegung der Richtgrößen sei rechtswidrig; die Schwellenwerte hätten nichts mit einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise zu tun, sondern seien willkürlich festgesetzt worden. Gleiches gelte für die Definition von Praxisbesonderheiten im Rahmen der Richtgrößenvereinbarung. Die Methoden der Richtgrößenprüfung und derjenigen auf der Grundlage von Durchschnittswerten der Fachgruppe bzw. zur Einzelfallprüfung würden in unzulässiger Weise miteinander vermischt. Darüber hinaus seien die vorliegenden Praxisbesonderheiten in vollem Umfang anzuerkennen und zu berücksichtigen, dass er eine aufwändige Klientel betreue, die wegen ihrer Multimorbidität nicht preiswerter mit Arzneimitteln zu versorgen gewesen sei. Gleiches gelte für den Umstand, dass er wenig Notfälle und Überweisungen habe, so dass in seiner kleinen Praxis Verdünnerfälle fehlten. Er habe zahlreiche aufwändige Patienten zu versorgen gehabt, die mit der vorgegebenen Richtgröße nicht medikamentös hätten versorgt werden können. Im Rahmen der anerkannten Praxisbesonderheiten sei die Berechnung des Mehraufwandes nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus seien weitere Behandlungsfälle insbesondere multimorbider Patienten bei der Ermittlung der Richtgrößenvolumina zu berücksichtigen, bei denen keine ärztlichen Leistungen abgerechnet worden und die deshalb nicht in die Abrechnung eingegangen seien. Vorsorglich werde die ihm zustehende vollständig Regress ablösende Individualvereinbarung beantragt.

Unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen reduzierte der Beklagte den Regress mit Beschluss vom 28.01.2009 (Bescheid vom 19.03.2009) auf 21.752,30 EUR. Er bereinigte die Verordnungskosten um Fremdkassenfälle in Höhe von 293,20 EUR sowie Nichtarzneimittel in Höhe von 1.739,35 EUR und berücksichtigte als Praxisbesonderheiten nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 und 4 der Rich...

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