Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Pflegeeinrichtung. vollstationäre Pflege. Voraussetzungen für die Zahlung eines Anerkennungsbetrags wegen Rückstufung in niedrigere Pflegestufe. Nachweis der Durchführung von über den Pflegestandard hinausgehenden aktivierenden oder rehabilitativen Maßnahmen. Kausalität
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zahlung des sog Anerkennungsbetrages gemäß § 87a Abs 4 SGB 11 in Höhe von 1536 € ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Pflegeeinrichtung über den von ihr ohnehin zu erbringenden Pflegestandard hinaus ein erkennbares Mehr an Maßnahmen aktivierender oder rehabilitativer Art im Sinne einer positiven Beeinflussung und eines besonderen Einwirkens auf den Pflegeprozess erbracht hat. Mit der Erbringung der zum Pflegstandard gehörenden "aktivierende Pflege" werden die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 87a Abs 4 SGB 11 nicht erfüllt.
2. Die Einrichtung hat die Durchführung aktivierender oder rehabilitativer Maßnahmen nachzuweisen. Zum Nachweis ist die konkrete Pflegeplanung und die entsprechende Notiz in der Pflegedokumentation vorzulegen.
3. Den Nachweis, dass die aktivierenden oder rehabilitativen Maßnahmen kausal für die Herabstufung gewesen ist, braucht die Einrichtung nicht zu erbringen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.04.2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 1.536 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung des sogenannten Anerkennungsbetrages in Höhe von 1.536 EUR nach § 87a Abs 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).
Die Klägerin ist Trägerin der stationären Pflegeeinrichtung Haus C, Alten- und Pflegeheim, in S. In dieser Einrichtung war die bei der Beklagten pflegeversicherte A W (AW) in der Zeit vom 13.07.2010 bis zu ihrem Tod zunächst in Kurzzeitpflege und ab 05.08 2010 vollstationär gepflegt worden. Die Beklagte zahlte Leistungen der vollstationären Pflege nach Pflegestufe II (§ 43 SGB XI, Grundpflegebedarf 142 Minuten). Im Rahmen einer Nachprüfung kam der Sozialmedizinische Dienst (SMD) zu dem Ergebnis, im Vergleich zur Vorbegutachtung sei AW deutlich mobiler geworden. Teilbereiche der Körperpflege und des Bekleidens könnten wieder selbständig übernommen werden. Das Gehen mit dem Rollator unter sichernder Begleitung sei ihr wieder möglich und ein Transport im Rollstuhl nicht mehr erforderlich. Bei AW bestehe wegen Altersgebrechlichkeit und inkompletter Harninkontinenz ein Pflegebedarf von nur noch 100 Minuten. Die Beklagte stufte die der AW gewährten Leistungen der vollstationären Pflege ab Mai 2011 von der Pflegestufe II in die Pflegestufe I zurück.
Mit Schreiben vom 12.05.2011 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Zahlung des Anerkennungsbetrages nach § 87a Abs 4 SGB XI iHv1.536 EUR geltend. Zur Begründung führte sie aus, in ihren Einrichtungen stünden aktivierende Pflege und Rehabilitation stets im Vordergrund. Ihre Mitarbeiter/innen seien in hohem Maße in aktivierender Pflege geschult und angehalten, Fähigkeiten zu fördern, statt Defizite zu pflegen. Das Ergebnis zeige sich im Einstufungsresultat.
Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme des SMD ein. Die Fachärztin für Allgemein- und Sozialmedizin Dr. B vertrat die Auffassung, die niedrigere Pflegestufe sei vermutlich die Konsequenz aus der geriatrischen Rehabilitationsmaßnahme im Juni 2010. Bei der Erstbegutachtung habe der dauerhafte Hilfebedarf noch nicht eingeschätzt werden können. Im Übrigen habe die Pflegeeinrichtung eine ausführliche Dokumentation, aus welcher sich der Verlauf der Minderung der Pflegebedürftigkeit ergeben könnte, nicht vorgelegt.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 19.05.2011 den Antrag der Klägerin ab.
Die Klägerin wandte sich daraufhin erneut mit Schreiben vom 31.04.2011 an die Beklagte und gab zu bedenken, nach ihrer Meinung habe die Einrichtung nicht den Nachweis zu erbringen, dass mit der konkreten Bewohnerin aktivierende oder rehabilitative Maßnahmen durchgeführt worden seien. Es sei gesetzlich zu vermuten, dass die Einrichtungen die Leistungen im Sinne des § 43 SGB XI erbrächten; dazu gehörten auch aktivierende und rehabilitative Maßnahmen. Dass die Einrichtung aktivierende Pflege durchführe, ergebe sich aus dem Versorgungsvertrag. Dieser verweise auf den Rahmenvertrag für Kurzzeitpflege und vollstationäre Pflege nach § 75 SGB XI. § 2 des Rahmenvertrages regele ausdrücklich die Durchführung aktivierender Pflege. Komme es zu einer Rückstufung in die niedrigere Pflegestufe, bestehe der Anspruch auf Zahlung des Anerkennungsbetrages.
Die Beklagte informierte die Klägerin fernmündlich, dass sie an ihrer Entscheidung festhalte.
Die Klägerin hat am 21.07.2011 Klage beim Sozialgericht (SG) Münster erhoben Sie hat erneut ihre Rechtsansicht dargelegt und die Intention des Gesetzgebers bei Einführ...