Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. sachliche Zuständigkeit. Arbeitgebermodell. Kostenübernahme für ein Assistenzzimmer zur Unterbringung von zur Pflege und Unterstützung angestellten Hilfskräften. Begriff der besonderen Pflegekraft iS von § 65 Abs 1 S 2 SGB 12. angemessenen Kosten gem § 65 Abs 1 S 2 SGB 12. Vorhaltung eines Ruheraumes iS von § 6 Abs 3 ArbStättV 2004. keine Unterkunftskosten iS des § 29 SGB 12 aF
Leitsatz (amtlich)
1. Kosten für einen Ruheraum für Pflegekräfte in der Wohnung des behinderten Menschen bei Notwendigkeit einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung sind als Hilfe zur Pflege nach dem SGB 12 zu übernehmen. Es handelt sich nicht um Kosten der Unterkunft.
2. Zur Auslegung des Begriffs der "angemessenen Kosten" in § 65 Abs 1 S 2 SGB 12.
Orientierungssatz
1. Eine kreisfreie Stadt ist nach § 1 des Landesausführungsgesetzes zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW, juris: SGB12AG NW) örtlicher Sozialhilfeträger iS des § 97 Abs 1 SGB 12. Diese Zuständigkeit wird weder nach § 97 Abs 2 S 1 SGB 12 iVm der Ausführungsverordnung zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - des Landes Nordrhein-Westfalen (AV-SGB XII NRW, juris: SGB12AGAV NW) noch nach § 97 Abs 3 Nr 2 SGB 12 verdrängt.
2. Für die Einstufung der Assistenzkraft als besondere Pflegekraft iS von § 65 Abs 1 S 2 SGB 12 ist es unschädlich, dass sie nicht über eine formale pflegerische Ausbildung verfügt, sondern von einer bereits vorhandenen Kraft und nach Anweisung des Hilfebedürftigen angelernt wird. Der Begriff der besonderen Pflegekraft weicht von demjenigen der "geeigneten Pflegekraft" iS des § 36 Abs 1 S 3 SGB 11 insoweit ab, als die besondere Pflegekraft nicht zwingend bei einem gem § 71 Abs 1, § 72 SGB 11 zugelassenen Pflegedienst beschäftigt oder auf der Grundlage eines Vertrages nach § 77 Abs 1 SGB 11 pflegerisch tätig sein muss.
3. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Assistenzkraft nicht in den Haushalt des Hilfebedürftigen aufgenommen ist, kommt eine unabdingbare (§ 619 GB) arbeitsrechtliche Verpflichtung des Hilfebedürftigen zur Vorhaltung eines Ruheraumes iS von § 6 Abs 3 ArbStättV (juris: ArbStättV 2004) iVm Nr 4.2 des Anhangs zu § 3 Abs 1 ArbStättV (juris: ArbStättV 2004 Anh) jedenfalls über die Generalklausel des § 618 Abs 1 BGB in Betracht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.09.2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung höherer Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) im Hinblick auf seine Aufwendungen für ein Assistenzzimmer zur Unterbringung der von ihm zu seiner Pflege und Betreuung angestellten Hilfskräfte.
Der am 00.00.1973 geborene Kläger leidet an einer weit fortgeschrittenen Duchenneschen Muskeldystrophie, einer beatmungspflichtigen respiratorischen Insuffizienz sowie einer Herzinsuffizienz. Er ist auf einen Spezialrollstuhl, Rund-um-die-Uhr-Pflegeleistungen in allen Bereichen und Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung angewiesen. Nachts muss er u.a. zwischen fünf- und achtmal durch eine Pflegekraft gelagert werden; etwa drei- bis viermal pro Nacht muss seine Nasen-Mund-Maske gerichtet werden, wozu er eine Assistenzkraft per Ruftaste heranzieht.
In der Gesetzlichen Pflegeversicherung wurde der Kläger (unter zusätzlicher Anerkennung der Voraussetzungen des § 43 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI)) der Pflegestufe III zugeordnet. Ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "G", "aG" und "H" zuerkannt. Der Beigeladene - in seiner Funktion als Integrationsamt - gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 05.01.2006 für die Zeit vom 01.09.2005 bis 31.12.2007 einen Zuschuss aus Mitteln der Ausgleichsabgabe zur Beschäftigung einer Assistenzkraft am Arbeitsplatz (§§ 33 Abs. 8 Nr. 3 und 102 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) i.V.m. § 17 Abs. 1a Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV)) i.H.v. monatlich 730,00 EUR. Der Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung, die AOK Rheinland/Hamburg, übernahm seit Januar 2005 die Kosten für die Pflege des Klägers in Höhe von 70% der entstandenen Kosten (seit Mitte Juni 2010 von 84,9 %). Die Pflegekasse zahlte laufend Pflegegeld in gesetzlicher Höhe direkt an den Kläger.
Der Kläger wohnte zunächst in U. Nach dem Abitur (1992) studierte er Soziologie. Er lebte seinerzeit im (Studenten-)Wohnheim; dort war die Betreuung bereits durch eine 24-Stunden-Assistenz (individuelle Schwerstbehindertenbetreuung) im Rahmen des sogenannten Arbeitgebermodells sichergestellt. Die Kosten hierfür - einschließlich der Kosten eines separaten Einzimmerappartements f...