Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Entscheidungsbefugnis des Beschwerdeausschusses. Wirtschaftlichkeitsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat nur eine Krankenkasse bzw. ein Krankenkassenverband gegen die Entscheidung eines Prüfungsausschusses über eine Wirtschaftlichkeitsprüfung Beschwerde eingelegt, hat der Beschwerdeausschuss regelmäßig auch über einen Regress zugunsten der übrigen von der Prüfung betroffenen Krankenkassen bzw. -verbände zu entscheiden.

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 30.4.2008 sowie der Bescheid des Beklagten vom 9.5.2005 aufgehoben. Der Beklagte hat über den Widerspruch der Beigeladenen zu 3 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

2. Der Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3. Außergerichtliche Kosten der übrigen Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob der Kläger (seit 1.1.2009 Rechtsnachfolger des Verbandes der Angestellten-Ersatzkassen eV - VdAK - und des Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes eV) einen Anspruch gegen den beklagten Beschwerdeausschuss auf Festsetzung eines höheren Regresses gegen den Beigeladenen zu 1 geltend machen kann.

Der Beigeladene zu 1 nahm bis zum 30.6.2004 als Facharzt für Chirurgie mit der Zusatzbezeichnung Sportmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Koblenz, deren Rechtsnachfolgerin die Beigeladene zu 2 ist (im Folgenden Beigeladene zu 2), teil. Auf Antrag der Rechtsvorgänger des Klägers und der übrigen Krankenkassenverbände (Beigeladene zu 3 bis 6) sowie der Beigeladenen zu 2 leitete die Gemeinsame Prüfungseinrichtung der Vertragsärzte, Psychotherapeuten und Krankenkassen für den Bereich der KÄV Koblenz ein Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung gegen den Beigeladenen zu 1 hinsichtlich der Verordnungsweise von Arznei- und Verbandmitteln betreffend die Quartale II/2000 bis IV/2001 ein. Die Prüfung erfolgte durch einen Vergleich der Arzneimittelkosten des Beigeladenen zu 1 mit den durchschnittlichen Verordnungskosten der Fachgruppe (Fachärzte für Chirurgie im Bereich der KÄV Koblenz). Der Prüfungsausschuss ermittelte Überschreitungen der Verordnungskosten gegenüber der Fachgruppe von 48,8 % (II/2000), 60,2 % (III/2000), 79,8 % (IV/2000), 105,1 % (I/2001), 126,3 % (II/2001), 99,5 % (III/2001) bzw. 141,7 % (IV/2001). Durch Bescheid vom 8.4.2004 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 10 vH der Gesamtverordnungssumme für Arznei- und Verbandmittel abzüglich 5 % Apothekenrabatt und Patientenanteil (Regresssumme: 4.369,14 €) gegen den Beigeladenen zu 1 fest.

Gegen den Prüfbescheid legte die Beigeladene zu 3, eine Primärkasse, unter dem 10.5.2004 Widerspruch ein mit dem Begehren, einen weitergehenden Regress gegen den Beigeladenen zu 1 festzusetzen. Durch Widerspruchsbescheid vom 9.5.2005 gab der Beschwerdeausschuss für den Bereich der KÄV Koblenz (Rechtsvorgängerin des Beklagten; zukünftig Beklagter) dem Widerspruch der Beigeladenen zu 3 statt. Er setzte die Regresse zugunsten der Beigeladenen zu 3 auf die Verordnungskosten fest, welche die Durchschnittswerte der Fachgruppe um mehr als 50 vH überschritten (zusätzliche Regresssumme unter Berücksichtigung des Apothekerrabatts und des Patientenanteils 3.464,65 €). In der Begründung dieses Bescheides hieß es ua: Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb dem Beigeladenen zu 1 weitergehende Überschreitungen zuzugestehen sein sollten. Da nur die Beigeladene zu 3 Widerspruch eingelegt habe, erfolge die Regressfestsetzung nur zu deren Gunsten. Der hiergegen vom Vertreter der Rechtsvorgänger des Klägers erhobene Einwand werde unberücksichtigt gelassen. Seine (des Beklagten) bisherige Spruchpraxis habe immer nur eine Verböserung des Prüfungsbescheides zugunsten der widerspruchsführenden Beteiligten zugelassen. Den weiteren beteiligten Krankenkassen werde empfohlen, eine Klärung vor dem Sozialgericht (SG) herbeizuführen.

Dieser Bescheid wurde dem Beigeladenen zu 1 am 10.5.2005 zugestellt. Eine Zustellung des Beschlusses an die Rechtsvorgänger des Klägers erfolgte nicht. Diese haben angegeben, der Bescheid sei ihnen am 20.5.2005 zugegangen.

Die Rechtsvorgänger des Klägers haben am 17.6.2005 Klage erhoben und vorgetragen: Der Gesetzgeber habe den KÄVen und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Landesverbänden der Ersatzkassen in § 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) die gemeinsam und einheitlich durch Prüfgremien durchzuführende Wirtschaftlichkeitsprüfung als Aufgabe zugewiesen. Daraus ergebe sich, dass das gesamte Prüfverfahren alle Kassenarten betreffen müsse. Bereits zur Reichsversicherungsordnung habe das Bundessozialgericht (BSG) betont, dass die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung ein einheitlicher Vorgang sei und die Krankenkassen und deren Verbände daran ein übergreifendes rechtlich geschütztes Interes...

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