Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Prüfvereinbarung. Einzelfallprüfung. Arzneimittelverordnungsumfang bei einem bestimmten Patienten
Leitsatz (amtlich)
Eine durch die Prüfvereinbarung zugelassene Einzelfallprüfung im vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren, bei der die Prüfgremien der Frage nachgehen, ob der Vertragsarzt bei einem bestimmten Patienten den nach den Grundsätzen sachgerechten ärztlichen Handelns gebotenen Arzneimittelverordnungsumfang überschritte hat, ist statthaft.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten und der Beigeladenen zu 2 wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 8.12.2004 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten beider Instanzen. Sie hat der Beigeladenen zu 2 deren außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten. Außergerichtliche Kosten der übrigen Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Arzneimittelregress auf Grund einer Einzelfallprüfung in den Quartalen II bis IV/2000 in Höhe von 1.407,77 €.
Der Prüfungsausschuss der Gemeinsamen Prüfungseinrichtungen der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Pfalz überprüfte auf Antrag der Beigeladenen zu 2) die Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungen der aus drei Allgemeinärzten bestehenden Klägerin bei dem Patienten J K (geb. 1953) in den o.g. Quartalen. Durch Bescheid vom 6.3.2002 ordnete er gegenüber den Klägerin einen Arzneimittelregress in Höhe von 1.719,44 €, u.a. betreffend zuviel verordneten Dosieraerosols, an.
Mit ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend: Ursache der Überdosierung des Dosieraerosols sei der Schweregrad der seit 1983 bekannten Emphysemerkrankung des Patienten gewesen. Die Ärzte der Klägerin hätten immer wieder Versuche unternommen, den Medikamentengebrauch zu reduzieren bzw. den Einsatz der Medikamente zu optimieren; wiederholt habe sich aber gezeigt, dass lediglich die Höherdosierung eine kurzfristige Erleichterung gebracht habe. Nachfragen bei der Herstellerfirma von Berodual hätten ergeben, dass eine Höherdosierung insbesondere bei schwer- und schwerstkranken Patienten einen zusätzlichen therapeutischen Nutzen bringen könnte. Das Phänomen der Überdosierung, bei der es nicht zu Todesfällen oder anderen schwerwiegenden Nebenwirkungen gekommen sei, sei in mehr als 100 Literaturstellen weltweit beschrieben worden. Als Gründe für die Überdosierung seien hierin vor allem der Schweregrad der Erkrankung (Emphysem), Schwierigkeiten mit der Inhalation, insbesondere im Zustand der akuten Panik, sowie die subjektive und auch objektive Wirksamkeit, auch bei starker Überdosierung, genannt worden. Diese Gesichtspunkte träfen auch bei dem Patienten J K zu. Der Patient hätte ohne die Überdosierungen sicherlich ein Vielfaches mehr an Zeit in stationärer Behandlung verbracht.
Der Beklagte half dem Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 7.2.2003 (Beschluss vom 11.12.2002) teilweise ab und setzte einen Regress in Höhe von 1.407,77 € fest. Zur Begründung hieß es: Die Maximaldosierung von Berodual Dosieraerosol betrage nach der Fachinformation 12 Hübe pro Tag. Wenn man noch eine bestimmte Zahl von Fehlbedienungen seitens des Patienten hinzurechne, könnten höchstens 16 Hübe pro Tag als Maximaldosierung veranschlagt werden. Daraus errechne sich eine Menge von 4.416 Hüben, was 221 ml Berodual für den gesamten Prüfzeitraum (276 Tage) ergebe. Tatsächlich seien von den Ärzten der Gemeinschaftspraxis jedoch 22.800 Hübe = 1.140 ml Berodual verordnet worden. Unter Berücksichtigung der Packungsgröße seien der Klägerin 225 ml zuzugestehen. Hinsichtlich der restlichen 915 ml sei diese in Regress zu nehmen.
Am 13.2.2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Durch Urteil vom 8.12.2004 hat das Sozialgericht (SG) den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe seinen ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten, indem er eine eingeschränkte Einzelfallprüfung durchgeführt habe, ohne eine Begründung für die Wahl dieser von der Regelprüfungsmethode abweichende Prüfmethode anzuführen.
Gegen dieses ihnen am 18.1.2005 zugestellte Urteil haben die Beigeladene zu 2) am 10.2.2005 und der Beklagte am 15.2.2005 Berufung eingelegt. Auf Anfrage des Senats haben Dr. med. G /W von der Firma B (I ) im Oktober 2005 mitgeteilt: Zu keinem Zeitpunkt sei ein Gespräch zwischen Mitarbeitern der Firma B und dem Arzt Dr. V geführt worden, ob eine Höherdosierung bei schwer- und schwerstkranken Patienten einen zusätzlichen therapeutischen Nutzen bringen könne. Mit Dr. V habe aber eine Korrespondenz stattgefunden, bei der diesem der Firma bekannte Publikationen zu dem Thema “Berodual und Überdosierung„ unkommentiert weitergeleitet worden seien. Die in der Fachinformation angegebene Dosis von 12 Hüben/Tag solle nicht überschritten ...