Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Hörgerät. Kostenerstattung über den Festbetrag hinaus. konkludente Ablehnung der die Festbeträge übersteigenden Mehrkosten. Antragssplitting. gesetzliche Rentenversicherung. wesentlicher Gebrauchsvorteil. kein berufsbedingter Mehrbedarf bei Tätigkeit als Geschäftsführer und als Integrationshelfer für Kinder mit unterschiedlichem Förderbedarf in Schulen
Orientierungssatz
1. Die Entscheidung einer gesetzlichen Krankenkasse, eine Pauschale für die Versorgung mit einem Hörgerät in Höhe eines Festbetrags zu gewähren, kann auch konkludent eine Ablehnung der die Festbeträge übersteigenden Mehrkosten darstellen, wenn zB der Antrag des Versicherten hinsichtlich der die Festbeträge übersteigenden Mehrkosten von der Krankenkasse an einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung weitergeleitet wird und auch die Mehrkosten für die Krankenkasse aus dem eingereichten Kostenvoranschlag ersichtlich werden.
2. Die Möglichkeiten der Beteiligung anderer Rehabilitationsträger nach § 15 SGB 9 2018 ändern nichts an der Stellung als erst- oder zweitangegangener Rehabilitationsträger, sodass der nach § 14 SGB 9 2018 zuständig gewordene Träger im Außenverhältnis für die Leistungserbringung zuständig bleibt. Ein rechtswidriges Splitting des Antrags verlagert nicht die Entscheidungszuständigkeit auf den Splittingadressaten.
3. Ein erstangegangener Rehabilitationsträger bleibt auch zuständiger Rehabilitationsträger, wenn er den Rehabilitationsantrag nicht unverzüglich oder wegen der Antragsaufsplittung nicht wirksam weiterleitet. Insofern können auch Vereinbarungen zwischen Rehabilitationsträgern die gesetzlichen Vorgaben nicht außer Kraft setzen.
4. Zum (hier: verneinten) Anspruch auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten für ein selbstbeschafftes Hörgerät aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs 4 SGB 9 2018 und nach § 13 Abs 3a SGB 5.
5. Hörgeräte, mit denen ein nur um fünf Prozentpunkte besseres Sprachverstehen bei Störschall im Vergleich zu einem aufzahlungsfreien Hörgerät erreicht werden kann, verfügen über keinen "wesentlichen" bzw "deutlichen" Gebrauchsvorteil.
6. Eine Tätigkeit als Geschäftsführer und eine Tätigkeit als Integrationshelfer für Kinder mit unterschiedlichem Förderbedarf in Schulen bedingen keine besonderen Anforderungen an das Hörvermögen, das die Anforderungen im privaten und allgemeinen beruflichen Alltag übersteigt, sodass eine Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten für ein Hörgerät als Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen ist.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 12.01.2023 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für eine Hörgeräteversorgung.
Die 1966 geborene Klägerin ist bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert. Die Beklagte ist der für sie zuständige Rentenversicherungsträger. Die Klägerin ist sozialversicherungspflichtig beschäftigte Geschäftsführerin, zuständig für den Bereich Verwaltung des Unternehmens „a s a U “, W , das Integrationshilfeleistungen für Kinder und Jugendliche anbietet. Ausweislich der Leistungsdarstellung des Unternehmens erfolgt dies durch Unterstützung von Kindern mit Körperbehinderung, geistiger Behinderung oder psychischer Störung, die an einer allgemeinen Schule oder einer Förderschule unterrichtet werden zur Förderung von der Selbständigkeit. Die Klägerin ist in dem Unternehmen von der Koordination im Bereich Büro bis zu Springertätigkeiten im direkten Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem Förderbedarf an Schulen als Integrationshelfer eingesetzt. Dabei treten nach Darstellung ihres Arbeitgebers Aufsichtspflichten etwa in Pausenhof-Situationen oder bei Klassenfahrten auf sowie die Notwendigkeit der Kommunikation in vielfältiger Form, beispielsweise durch telefonischen Kontakt zu den Eltern der von ihr unterstützten Kinder.
Dr. B verordnete der Klägerin am 04.09.2020 beiderseits Hörhilfen aufgrund einer beidseitigen Presbyakusis bei anamnestischem Tinnitus. Die Verordnung umfasst nicht die Angabe, dass ein Tinnitusmasker notwendig sei. Am 26.07.2021 ging bei der Beigeladenen, übermittelt durch den Hörgeräteakustikers R W Hörgeräte GmbH, deren Kostenvoranschlag vom 26.07.2021 ein, mit dem die Leistungserbringung der Hörgeräte „Oticon Ruby 1 Mini Ex 85“ mit entsprechenden Ex-Hörern und Servicepauschale in Höhe von insgesamt 2.894,02 Euro beantragt wurde. Zudem übermittelte der Hörgeräteakustiker den Anpassbericht vom 26.07.2021, der als Datum der Messung den 22.01.2021 anführt, ein Schreiben des Hörgeräteakustikers vom 27.04.2021, das an die Klägerin gerichtet ist, sowie ein Schreiben des Arbeitgebers der Klägerin, das ebenfalls an sie gerichtet ist, vom 05.07.2021. Das beantragte Gerät verfügt über 10 Kanäle, adaptive Rückkopplungsun...