Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrags(zahn)arzt. Honoraransprüche gegen die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung im Insolvenzverfahren nach einer unwirksamen Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter. kein Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens. Prozessführungsbefugnis. Abtretung. Pfändung. Insolvenzmasse
Orientierungssatz
1. Ein Vertrags(zahn)arzt, der seine künftigen Honoraransprüche im Voraus abgetreten hatte und über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, hat einen Anspruch auf Auszahlung des in der Zeit zwischen der Freigabe seiner vertrag(zahn)ärztlichen Tätigkeit nach § 35 Abs 2 InsO und einem später ergangenen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Unwirksamkeit der Freigabeerklärung bereits an den Insolvenzverwalter geleisteten Honorars.
2. Mit der Insolvenzeröffnung werden Abtretungen oder Pfändungen der Vergütung eines Arztes gegen eine Kassenärztliche Vereinigung nach § 91 Abs 1 InsO unwirksam, soweit sie sich auf Ansprüche beziehen, die auf nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten ärztlichen Leistungen beruhen(vgl BGH vom 11.5.2006 - IX ZR 247/03 = BGHZ 167, 363). Hieran ändert eine Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs 2 S 1 InsO nichts (vgl LSG Mainz vom 27.8.2009 - L 5 KA 42/09 B ER und vom 20.10.2011 - L 5 KA 64/10).
3. Die Feststellung der Unwirksamkeit einer vom Insolvenzverwalter erklärten Freigabe durch das Insolvenzgericht enthält keine bloß deklaratorische Feststellung, sondern eine konstitutive Anordnung. Deshalb entfaltet sie keine Rückwirkung, sondern beseitigt die Wirkungen der Verwaltererklärung nur für die Zukunft ex nunc (vgl AG Duisburg vom 22.4.2010 - 60 IN 26/09).
4. Vertrags(zahn)ärzte haben keinen Anspruch auf Verzinsung rückständiger Honorarforderungen (vgl BSG vom 11.3.2009 - B 6 KA 31/08 B, LSG Darmstadt vom 4.5.2011 - L 4 KA 49/09 und BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R = SozR 4-2500 § 69 Nr 7) und damit erst Recht nicht auf Ersatz einen höheren Verzugsschadens.
Normenkette
InsO § 35 Abs. 2-3, § 80 Abs. 1, § 91 Abs. 1; BGB §§ 823, 826
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 2.9.2011 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 50.699,88 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt 1/10, die Beklagte trägt 9/10 der Kosten beider Rechtszüge. Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Auszahlung der Vergütung aus seiner selbstständigen Tätigkeit als Vertragszahnarzt im Zeitraum vom 1.10.2008 bis zum 31.3.2009 in Höhe von 50.699,88 € an ihn sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihm jeglichen Verzugsschaden aus der bisher unterbliebenen Zahlung zu ersetzen habe. Außerdem macht der Kläger einen Verzugsschaden wegen nicht rechtzeitiger Zahlung eines Betrags von 186,26 € durch die Beklagte geltend.
Der Kläger ist als Zahnarzt zur vertragszahnärztlichen Versorgung im Bezirk der Beklagten zugelassen. Mit schriftlicher Abtretungserklärung vom 15.10.1992 hatte er zur Befriedigung aller bestehender und zukünftiger Forderungen alle Honorarforderungen gegen die Beklagte in voller Höhe an seine geschiedene Ehefrau U. S. abgetreten und diese Abtretung der Beklagten angezeigt. Der Beklagten liegen ferner zahlreiche Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse verschiedener Gläubiger des Klägers aus dem Zeitraum zwischen dem 22.11.1994 und dem 9.7.2008 vor. Das Amtsgericht (AG) Montabaur eröffnete über das Vermögen des Klägers mit Beschluss vom 12.9.2008 (14 IN 71/08) das Insolvenzverfahren. Am 30.9.2008 gab der beigeladene Insolvenzverwalter folgende Erklärung ab: “Das Vermögen aus Ihrer selbständigen Tätigkeit als Zahnarzt gehört nicht mehr zur Insolvenzmasse; Ansprüche aus dieser Tätigkeit können nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden (§ 35 Abs 2 Satz 1 InsO). § 295 Abs 2 InsO gilt entsprechend... Gemäß § 295 InsO obliegt es Ihnen, die Insolvenzgläubiger durch Zahlung an den Insolvenzverwalter so zu stellen, wie wenn Sie ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wären.„ Der Kläger teilte der Beklagten mit Fax vom 2.10.2008 diese Erklärung mit. Am 8.12.2008 führte das AG Montabaur eine Gläubigerversammlung durch. Im Protokoll über diese ist ua festgehalten: “Nach weiterer Diskussion wird Folgendes erklärt bzw beschlossen: b.u.v.: Der Betrieb wird vorläufig von dem Insolvenzverwalter fortgeführt.„
Die Beklagte leistete für die zahnärztliche Tätigkeit des Klägers im Zeitraum vom 24.11.2008 bis zum 26.1.2009 folgende Zahlungen an den Beigeladenen:
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24.11.2008 |
für Okt 2008 |
1. Abschlag IV/08 |
5.817,81 € |
22.12.2008 |
für Nov 2008 |
2. Abschlag IV/08 |
6.641,67 € |
15.1.2009 |
Restzahlung für III/08 |
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53.570,88 € |
26.1.2009 |
für Dez 2008 |
3. Abschlag IV/08 |
3.518,25 € |
insgesamt |
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69.548,61 € |
Mit Beschluss vom 13.2.2009 (dem Kläger zugestellt am 14.2.2009) erklärte das AG Montabaur die Freigabeerklärung...