Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschaden. Pockenschutzimpfung vor Inkrafttreten des BSeuchG. Beratungspflicht und Antragshinwirkungspflicht behördlicher Stellen. Beginn des Leistungsanspruchs. Heilbehandlung. Kostenübernahme. Neuvergoldung und Überarbeitung eines Brillengestells
Orientierungssatz
1. Zur Beratungspflicht und Antragshinwirkungsverpflichtung behördlicher Stellen gemäß §§ 14, 15 SGB 1 bei einem vor Inkrafttreten des Bundesseuchengesetzes vom 18.7.1961 (BSeuchG) eingetretenen Impfschaden.
2. Der Bundesgesetzgeber hat erstmalig einheitlich für das Gebiet der Bundesrepublik im Bundesseuchengesetz vom 18.7.1961 (BGBl I 1961, 1012), das am 1.1.1962 in Kraft getreten ist, einen Impfschaden-Ausgleichsanspruch als besondere Ausformung des Aufopferungsanspruchs gesetzlich geregelt. Zur Bejahung eines Impfschadens gemäß § 51 BSeuchG aF war der Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsschaden erforderlich. Erst in der Neufassung des BSeuchG vom 25.8.1971 (BGBl I 1971, 1401) wurde in Impfschadensfällen ein Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG normiert (§ 51 Abs 1 S 1 BSeuchG), und in § 52 Abs 2 BSeuchG eine Beweiserleichterung dahingehend eingeführt, dass zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügte.
3. Die durch das 10. AnpG-KOV vom 10.8.1978 (KOVAnpG 10) mit Wirkung vom 1.1.1979 eingefügten Sätze 2 und 3 des § 60 Abs 1 BVG gelten zwar auch für Schädigungen, die vor dem 1.1.1979 eingetreten waren, aber sie durften noch nicht länger als ein Jahr zurückliegen.
4. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Neuvergoldung und Überarbeitung einer Brille lässt sich aus den Vorschriften des BSeuchG iVm dem BVG nicht herleiten.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Beginn der Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen -- Bundesseuchengesetz (BSeuchG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sowie über den Zeitpunkt des Beginns der Verzinsung eines Anspruchs auf Berufsschadensausgleich und über die weitere Erstattung von Reparaturkosten einer Brille in Höhe von 129,-- DM.
Die ... 1950 geborene Klägerin wurde am 4.6.1951 gegen Pocken geimpft. Wenige Tage später traten hohes Fieber mit einhergehender Bewusstseinstrübung, phasenweise auch Bewusstlosigkeit und daneben eine Lungenentzündung auf. Unmittelbar nach Abklingen der akuten Erkrankung manifestierten sich motorische Störungen. Die Behandlung der Klägerin erfolgte ausschließlich ambulant durch den Hausarzt Dr. vorm W, Z, sowie den Kinderarzt Dr. H. Sch, Kinderklinik St. Katharinen in T. Aus Sicht der Eltern bestand von Anfang an kein Zweifel daran, dass die motorischen Störungen der Klägerin Folgen der Impfung waren. Sie suchten zweimal pro Jahr die Körperbehindertensprechstunde des Gesundheitsamtes B auf. Am 15.6.1962 wurde ihnen vom Impf- und Amtsarzt Dr. W eine Bescheinigung über die Freistellung von der Pockenschutz-Wiederimpfung ausgestellt.
Am 4.12.1967 beantragten die Eltern der Klägerin beim Landratsamt B, Sozialabteilung, die Übernahme der durch den Besuch des Staatlichen Aufbaugymnasiums in W entstehenden Kosten als Ausbildungshilfe unter Hinweis auf die Körperbehinderung der Tochter. Die Freistellungsbescheinigung vom 15.6.1962 fügten sie bei. Das Landratsamt wandte sich daraufhin an das Gesundheitsamt B zwecks Klärung einer ggf vorrangigen Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers. Die Ermittlungen -- in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung T -- führten zu dem Ergebnis, dass weder beim Gesundheitsamt T oder B noch bei der Bezirksregierung Unterlagen zu einem Impfschaden vorhanden waren und auch keine ärztlichen Stellungnahmen oder Gutachten vorlagen. Der Amtsarzt Dr. W kam nach Würdigung der von den Eltern geschilderten Symptome und der ambulanten Behandlung sowie der fehlenden Meldung eines Impfschadens von Seiten des Kinderarztes an das zuständige Gesundheitsamt zu dem Ergebnis, es bestehe zwar der Verdacht auf einen Impfschaden, daraus könne jedoch nicht auf einen nachgewiesenen Impfschaden geschlossen werden. Beim Ausstellen der Bescheinigung vom 15.6.1962 sei er vom Vorliegen eines Impfschadens ausgegangen, habe aber keinen solchen durch die Freistellung von einer Wiederholungsimpfung feststellen wollen. Dieses Ergebnis wurde in einer Verfügung der Bezirksregierung vom 25.7.1968, gerichtet an das Gesundheitsamt B, festgehalten und später dem Landratsamt in Abschrift übermittelt. Letzteres übernahm sodann die Kosten für die Fahrt zum Gymnasium sowie den Schulbedarf der Klägerin.
Der Vorgang aus dem Jahre 1967/68 wurde von der Bezirksregierung zu den Akten genommen, von der Versorgungsverwaltung im Oktober 1971 übernommen und dort im Januar 1973 im Archiv abgelegt.
Im März 1988 stellte die Klägerin beim Versorgungsamt M einen Antrag auf Anerkennu...