Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Versagung wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB 1. Untersuchungsgrundsatz. Ermessen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die §§ 60ff SGB 1 sind im Falle der begehrten Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen allenfalls analog anzuwenden.

2. Hat der Antragsteller im Rahmen des Verfahrens auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen eine Befragung des Arbeitgebers ausgeschlossen, sich jedoch mit der Befragung des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung einverstanden erklärt, darf die Bundesagentur für Arbeit den Antrag nicht ohne weitere Ermittlungen wegen einer fehlenden Mitwirkung ablehnen.

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 06.05.2008 - S 9 AL 101/06 - abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 29.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2006 wird aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Der 1960 geborene Kläger ist seit 1993 bei der S Bau GmbH als Bauleiter (Vollzeit, Schichtarbeit) beschäftigt. Vom Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz ist mit Bescheid vom 21.02.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt aufgrund der Behinderung "Zuckerkrankheit, insulinpflichtig".

Im Mai 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Er gab an, sein Arbeitsverhältnis sei gefährdet, da ihm durch auftragsbedingten Zeitdruck regelmäßige Essenspausen nicht immer möglich seien. Es entstehe eine Unterzuckerungsgefahr und es komme zu hohen Blutzuckerwerten, besonders bei Nachtschichten oder Wochenendeinsätzen. Sein Arbeitsverhältnis sei auch aufgrund der schlechten Konjunkturlage gefährdet. Bei eventuell anstehenden Rationalisierungsmaßnahmen müsse er wegen der eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit mit einer Kündigung rechnen. Dem Arbeitgeber sei die Behinderung nicht bekannt und er sei nicht damit einverstanden, dass dieser an dem Gleichstellungsverfahren beteiligt sowie befragt werde. Mit der Befragung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung sei er einverstanden.

Die Beklagte wies ihn darauf hin, dass die Einholung einer Stellungnahme des Arbeitgebers zur Klärung der konkreten Arbeitsplatzsituation notwendig sei. Werde diese Zustimmung nicht erteilt, könne der Antrag wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt werden. Es werde gebeten, das Einverständnis innerhalb von 14 Tagen zu erklären (Schreiben vom 06.07. und 28.07.2005).

Mit Bescheid vom 29.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Wegen der fehlenden Mitwirkung sei eine sachliche Entscheidung über den Antrag nicht möglich. Die Gleichstellung sei deshalb nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zu versagen.

Der Kläger hat am 16.03.2006 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 06.05.2008 abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Versagung der Gleichstellung als Sozialleistung gemäß § 66 Abs. 3 SGB I seien gegeben. Die Einholung einer Auskunft des Arbeitgebers sei zwingend erforderlich, um den für die Frage der Gleichstellung maßgebenden Sachverhalt aufzuklären. Es genüge nicht, Auskünfte des Betriebsrates oder der Schwerbehindertenvertretung beizuziehen. Auf einen wichtigen Grund für seine Weigerung könne sich der Kläger nicht berufen. Dass der Arbeitgeber bei Kenntnis von dem Gleichstellungsverfahren möglicherweise eine Kündigung ausspreche, begründe keinen wichtigen Grund. Ein erfolgreicher Gleichstellungsantrag führe nämlich rückwirkend zu dem besonderen Kündigungsschutz. Es sei eine Ermessensreduktion auf Null gegeben, da eine vollständige Beschaffung der Informationen über eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes ohne Befragung des Arbeitgebers nicht erfolgen könne.

Gegen das ihm am 20.05.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.06.2008 Berufung eingelegt. Er trägt vor, dass der Betriebsrat des Arbeitgebers über sämtliche Informationen verfüge, die als Grundlage für eine Entscheidung der Beklagten herangezogen werden könnten. Sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sei zu berücksichtigen. Die Beteiligung des Arbeitgebers hätte zur Folge, dass aufgrund des Interessenkonfliktes keine unvoreingenommene Information erlangt werden könne, da dieser ein Interesse an der Kündigung habe. Im Übrigen sei die Entscheidung der Beklagten bereits wegen der unterlassenen Ermessensausübung aufzuheben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 06.05.2008 - S 9 AL 101/06 - sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn den schwerbeh...

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