Entscheidungsstichwort (Thema)

Halbwaisenrente. Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten. Überschreitung von vier Kalendermonaten

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Halbwaisenrente zwischen zwei Ausbildungsabschnitten besteht generell für vier Monate, wenn die weitere Ausbildung unvermeidbar erst nach mehr als vier Monaten aufgenommen werden kann - hier zwischen Abitur und Beginn der Hochschulausbildung.

2. Der Versichertengemeinschaft ist es zumutbar, für unvermeidbare Zwangspausen einzustehen, die der Ausbildungsorganisation eigentümlich und für sie typisch sind und im Wesentlichen auf (abstrakten) organisatorischen Maßnahmen der Ausbildungsträger beruhen; insoweit gilt zudem eine Zeitgrenze von vier Monaten (vgl BSG vom 27.2.1997 - 4 RA 21/96 = SozR 3-2600 § 48 Nr 1). Diese Rechtsprechung des BSG hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 1.8.2004 in das Gesetz übernommen.

3. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 17.4.2008 - B 13/4 R 49/06 R - im Zusammenhang mit der Elternzeit darauf hingewiesen, dass es die Meinung der Literatur nicht nachvollziehen kann, mit der Neuregelung des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst b SGB 6 durch das RVNG sei der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG zur Elternzeit nicht gefolgt. Nach Auffassung des Senats gilt das Gleiche auch für die Rechtsprechung des BSG zu unvermeidbaren Zwangspausen zwischen zwei Ausbildungsabschnitten.

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10.09.2008 wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Halbwaisenrente für eine zwischen zwei Ausbildungsabschnitten liegende Zwischenzeit (01.04.2007 bis 30.09.2007).

Die ... 1988 geborene Klägerin ist die Tochter des ... 1997 verstorbenen U B (Versicherter). Mit Bescheid vom 30.10.1997 gewährte die Beklagte der Klägerin Halbwaisenrente befristet bis zum 31.03.2007.

Im März 2007 erlangte die Klägerin die Allgemeine Hochschulreife. Ab dem 01.10.2007 nahm sie ein Studium der Medizin auf. Der Studiengang konnte erst im Wintersemester begonnen werden, da eine Bewerbung für das Sommersemester bei der ZVS (Bewerbungsschluss Mitte Januar 2007) nicht mehr möglich war.

Am 30.03.2007 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Halbwaisenrente. Zur Begründung verwies sie auf ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Speyer vom 20.04.2006, wonach die Halbwaisenrente bei einer unverschuldeten Ausbildungsunterbrechung über einen Zeitraum von vier Monaten gewährt werden müsse.

Mit Bescheid vom 16.04.2007 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag ab. Gemäß § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 b Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) dürfe die Dauer der rentenunschädlichen Übergangszeit höchstens vier Kalendermonate betragen. Dies gelte auch, wenn die weitere Ausbildung - zB aus allein hochschulorganisatorischen Gründen - nicht früher habe begonnen werden können. Dies entspreche der geänderten Gesetzeslage mit Einführung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes ab dem 01.08.2004.

Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, die unvermeidbare Zwangspause zwischen der Ablegung des Abiturs und der Aufnahme ihres Studiums habe sie nicht zu vertreten. Für das Sommersemester 2007 (Beginn 01.04.2007) habe sie sich bis zum 15.01.2007 (Bewerbungsschluss) bewerben müssen. Dies sei ohne Abiturzeugnis jedoch nicht möglich gewesen. Die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätze bezüglich der Verzögerungen auf Grund des Wehr- und Zivildienstes müssten auch für andere Ausbildungsabschnitte gelten.

Ohne weitere Ermittlungen wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 27.06.2007 zurück. Eine Ausnahmeregelung könne für Anspruchszeiträume ab dem 01.08.2004 nicht erfolgen, da der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 48 Abs 4 SGB VI zum 01.08.2004 der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG nicht gefolgt sei und somit keine Ausnahmeregelung existiere.

Im dagegen durchgeführten Klageverfahren hat das SG Speyer mit Urteil vom 10.09.2008 die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Halbwaisenrente für die Zeit vom 01.04.2007 bis 31.07.2007 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch der Klägerin auf Halbwaisenrente im Zeitraum vom 01.04.2007 bis 31.07.2007 ergebe sich aus § 48 Abs 1 SGB VI. Gründe, die zu einem Wegfall der Halbwaisenrente auf Grund besonderer Ausschlusstatbestände geführt hätten, seien in diesem Zeitraum nicht gegeben. Insbesondere liege kein Ausschlussgrund gemäß § 48 Abs 4 Nr 2 b SGB VI vor. Der Anspruch auf Halbwaisenrente bestehe danach bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befinde, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten liege. In der Rechtsprechung vor dem In-Kraft-Treten dieser Regelung (01.08.2004) sei anerkannt, d...

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