Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsnachforderung. Beitragsbescheid. Zwangsvollstreckung. Verwirkung. Zuständigkeit. Vollstreckungsbehörde. kein Erfordernis einer Vollstreckungsklausel bei Vollstreckung nach § 66 Abs 1 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen.
2. Allein eine jahrelange Untätigkeit bei der Vollstreckung aus einem Beitragsbescheid führt nicht zu einer Verwirkung.
3. Zuständig für die Vollstreckung aus Beitragsbescheiden ist bei bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträgern das Hauptzollamt.
4. Eine Vollstreckungsklausel ist bei einer Vollstreckung nach § 66 Abs 1 SGB 10 nicht notwendig.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 29. Mai 2013 - S 16 KR 81/13 ER wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Weiteren nur Antragsteller) wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten. Diesem Beschluss des Sozialgerichts liegt ein Verfahren auf Gewährung von einstweiligem Rechtschutz zugrunde, in denen sich der Antragsteller gegen die Zwangsvollstreckung aus bestandskräftigen Beitragsbescheiden der Antragsgegnerin betreffend versicherungspflichtig beschäftige Arbeitnehmer vom 21. April 1997 und 22. Mai 1997 über einen Betrag von jeweils 6.520 DM bzw. aus einem Bescheid vom 24. Juli 1997 über 5.865,62 DM wendet.
Zur Durchsetzung seiner Forderung hat der Antragsteller am 16. Januar 2013 am Sozialgericht Halle um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Er verlangt, die Vollstreckung aus den Bescheiden einstweilen einzustellen. Er räumt ein, insgesamt der Antragsgegnerin noch 8.472,39 Euro inklusive Säumniszuschläge, Mahngebühren und sonstige Kosten zu schulden. Allerdings sehe er sich wirtschaftlich nicht in der Lage, eine Zahlung vorzunehmen. Darüber hinaus sei die Vollstreckung nach 15 Jahren unzulässig, da die Forderungen verwirkt seien. Er habe sich in seiner Lebensführung darauf eingerichtet, dass diese nicht mehr gegen ihn geltend gemacht würden. Für dieses Verfahren hat der Antragsteller die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass in den Jahren 1998, 2000 sowie 2003 Vollstreckungsversuche fruchtlos verlaufen seien. Aus Kostengründen habe man - auch im Interesse des Antragstellers - von weiteren Vollstreckungsversuchen zunächst Abstand genommen.
Mit Beschluss vom 29. Mai 2013 hat das Sozialgericht Halle den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, eine Verwirkung eines Anspruchs liege nur vor, wenn der Berechtigte mit seinem Geltendmachen längere Zeit gewartet habe und besondere Umstände hinzugetreten seien, die die nunmehrige Erhebung des Anspruchs dem Dritten gegenüber als unzulässig erscheinen ließen. Besondere Umstände, die die Verwirkung eines Rechts auslösten, lägen nur dann vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde. Eine solche Fallgestaltung sei vorliegend nach dem bisherigen Sachvortrag und dem Inhalt der Verwaltungsakte nicht gegeben. Neben dem bloßen Zeitablauf fehlten trotz richterlicher Aufforderung Angaben dazu, welche Dispositionen der Antragsteller im Hinblick darauf getätigt habe, dass die Antragsgegnerin ihre Forderung vermeidlich nicht mehr durchsetzen werde. Der bloße Verweis auf die Umstellung der allgemeinen Lebensführung sei hierfür nicht ausreichend. Im Hinblick auf die 30-jährige Verjährungsfrist bei Vollstreckung müssten besondere Gesichtspunkte vorgetragen werden, aus denen sich ein Vertrauen ergeben soll. Allein durch die Untätigkeit über einen Zeitraum von neun Jahren und drei Monaten habe die Antragsgegnerin keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Die hier geltende Verjährungsfrist von 30 Jahren rechtfertige nur ausnahmsweise die Bejahung einer Verwirkung. Die Regelverjährung von 30 Jahren müsse dem Gläubiger grundsätzlich ungekürzt zur Verfügung stehen, so dass hier strenge Anforderungen an die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes zu stellen seien. Das bloße Unterlassen einer Beitragsvollstreckung könne nicht ausreichend sein, da ansonsten die verlängerten Verjährungsfristen ins Leere gehen würden. Erforderlich sei ein positives Tun des Berechtigten; ein solches sei hier nicht erkennbar. Eine unbillige Härte sei ebenfalls nicht ersichtlich, n...