Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Annahme einer Klagerücknahmefiktion bei Unterlassung von Verfahrenshandlungen nach Betreibensaufforderung. Auswirkung eines Betreibens in einem Parallelverfahren auf die Anwendung der Klagerücknahmefiktion

 

Orientierungssatz

Eine Verfahrensbeendigung durch Klagerücknahmefiktion kommt nicht in Betracht, wenn zwar in einem sozialgerichtlichen Verfahren die Klagepartei trotz Betreibensaufforderung die verlangten Handlungen in dem Verfahren nicht vornimmt, jedoch vor dem selben Gericht durch den Kläger zeitgleich noch mehrere Parallelverfahren mit vergleichbaren Sach- und Rechtlagen betrieben werden und in diesen Verfahren der Wille des Klägers zur gerichtlichen Klärung der Streitverfahren unzweifelhaft zum Ausdruck kommt.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. März 2013 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit vor dem Magdeburg zum Aktenzeichen S 45 AS 90219/10 nicht durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG beendet worden ist.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht bei Verfahrensabschluss vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger und Berufungsführer wenden sich gegen ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg, mit dem dieses ihre Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Fiktion einer Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgewiesen und die Verfahrensbeendigung festgestellt hat. In der Sache begehren die Kläger vom Beklagten die Gewährung höherer Leistungen für die Kosten für die Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2009.

Die am ... 1973 geborene Klägerin ist mit dem am ... 1974 geborenen Kläger verheiratet. Beide beziehen mit ihren Kindern seit dem 1. Januar 2005 mit Unterbrechungen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie bewohnen ein Eigenheim auf einem im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstück, welches diese im Jahr 2004 erworben hat. Über das Wohnhaus haben die Kläger mit der Großmutter des Klägers mit Wirkung zum 1. Juni 2004 einen Mietvertrag abgeschlossen, der auf den 20. Mai 2004 datiert und eine monatliche Gesamtmiete von 321,20 EUR ausweist. Ausweislich eines Schreibens der Großmutter des Klägers vom 14. März 2005 soll die Miete seit dem 1. April 2005 wegen einer Erhöhung der vorauszuzahlenden Betriebskosten 425,76 EUR betragen. Die Wirksamkeit des Mietvertrages sowie die Höhe der den Klägern zustehenden Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) sind zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig.

Mit Bescheid vom 6. Juni 2009 bewilligte der Beklagte den Klägern und deren Kindern zuletzt vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2009 in Höhe von monatlich 936 EUR, wobei KdUH iHv 116 EUR zuerkannt wurden. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein, mit dem sie geltend machten, dass die KdUH in diesem Zeitraum nicht in tatsächlicher Höhe gewährt würden. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2010 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück und führte ergänzend aus: Die KdUH könnten lediglich in der gewährten Höhe Berücksichtigung finden, da der vorgelegte Mietvertrag nicht wirksam und weitere Aufwendungen durch die Kläger nicht nachgewiesen seien.

Mit ihrer am 25. Februar 2010 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage (S 5 AS 219/10; Aktenzeichen des Sozialgerichts Magdeburg: S 45 AS 90219/10) haben die Kläger ihr Begehren weiter verfolgt und vorgetragen, die Aufwendungen für die KdUH seien vom Beklagten an den Vermieter auszukehren. Eine ausführliche Klagebegründung haben sie angekündigt. Dem ist der Beklagte unter Bezugnahme auf seine bisherigen Ausführungen entgegengetreten.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 8. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Kläger aufgefordert, "eine umfassende Klagebegründung und sämtliche Kosten der Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum nachzuweisen. Hier sind die Originalbelege beziehungsweise Verträge zu der Akte zu reichen". Mit Schreiben vom 28. Dezember 2010 hat das Sozialgericht die Kläger unter Fristsetzung von zwei Wochen an die Erledigung des gerichtlichen Schreibens vom 8. Juni 2010 erinnert. Da die Kläger sich hierzu nicht äußerten, hat der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 18. Februar 2011 gegenüber den Klägern ausgeführt: " fordere ich Sie aus gegebenem Anlass - Sie haben auf die Verfügungen vom 8. Juni 2010 und 28. Dezember 2010 nicht reagiert - zur Mitwirkung gemäß § 103 SGG auf. Mit den genannten Verfügungen wurden folgende Unterlagen angefordert: - Originalnachweise/Verträge über die Kosten der Unterkunft und Heizung. Dieser Aufforderung sind Sie nicht nachgekommen, weshalb ich Sie letztmalig auffordere, die Verträge und Belege über die Kosten der Unterkunft und Heizung im Original für die Monate Juli 2009 bis September 2009 ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?