Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschädigtenrente wegen eines Impfschadens in der ehemaligen DDR: Informationspflicht der Versorgungsämter über Entschädigungsmöglichkeiten bei Hepatitis-C-Infektion. Zulässigkeit der rückwirkenden Gewährung einer Grundrente
Orientierungssatz
1. In Bezug auf die durch Hepatitis C-Viren verseuchten Impfungen im Rahmen der in der vormaligen DDR durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe waren die zuständigen Versorgungsämter ausnahmsweise gegenüber den Geschädigten verpflichtet, über die Möglichkeit zur Erlangung einer Entschädigung auf Grundlage des Bundesseuchengesetzes zu informieren. Diese Pflicht bestand dabei auch schon vor dem 1. Januar 1995. Dabei traf die Behörden in Bezug auf die geschädigten Frauen eine Pflicht zur Ermittlung von Name und Anschrift, um der Informationspflicht nachkommen zu können (Anschluss BSG Urt. v. 10.12.2003; Az.: B 9 VJ 2/02 = BSGE 92, 34).
2. Soweit diese Information unterblieb, kann auch eine spätere Antragstellung auf Erlangung von Entschädigungsleistungen im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs jedenfalls auf den 1. Januar 1995 zurück bezogen werden, da bei pflichtgemäßem Vorgehen der Behörde bis zu diesem Zeitpunkt eine Information an die Betroffenen über die Entschädigungsmöglichkeiten und daran anschließend eine Antragstellung hätte erfolgt sein können, so dass ein Anspruch auf Grundrente ab diesem Zeitpunkt besteht.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Januar 2002 wird abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Grundrente vom 1. Januar 1995 an zu gewähren.
Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zur Hälfte und die des Berufungsverfahrens zu drei Vierteln zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin gehört zu den Frauen, die im Beitrittsgebiet infolge einer in den Jahren 1978 und 1979 durchgeführten Anti-D-Prophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden sind. Der Beklagte hat ihr deshalb vom 1. April 1997 an nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine Grundrente gewährt. Zwischen den Beteiligten ist noch der Beginn der Rente streitig.
Bei der 1954 geborenen Klägerin wurde am 20. Oktober 1978 in der Frauenklinik des Bezirkskrankenhauses Sch. mit durch den Hepatitis-C-Virus verseuchtem Immunglobulin eine Anti-D-Prophylaxe durchgeführt. Dieser Schädigung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Zwischen dem 2. August 1978 und 15. März 1979 wurden in der ehemaligen DDR mehrere tausend Frauen mit Anti-D-Immunglobulinen behandelt, die bei der Herstellung im Institut für Blutspende- und Transfusionswesen des Bezirks H. schuldhaft mit Hepatitis C-Viren verseucht worden waren. Die Anti-D-Immunprophylaxe war in der ehemaligen DDR gesetzlich vorgeschrieben und diente nach Geburten bei Rhesusfaktor-Unverträglichkeit der Verhinderung von Schädigungen bei nachgeborenen Kindern. Dadurch erkrankten fast 3000 Personen an Hepatitis C. Anlässlich der Nachuntersuchungen, insbesondere im Zuge der versorgungsrechtlichen Anerkennungsverfahren, wurde auf Basis von über 97,5% der gestellten Anträge (Stand 30. Juni 1999) bei 2227 Frauen sowie 57 Kindern und acht Kontaktpersonen eine Hepatitis-C-Infektion anerkannt (BT-Drucks. 14/2958, S. 7).
Mit Schreiben vom 26. Februar 1997 zu dem Betreff "Anti-D-Immunprophylaxe 1978/79" teilte das Landeshygieneinstitut M. der Klägerin mit, sie gehöre zu dem oben genannten Personenkreis und es könne zu einer Übertragung der Hepatitis C-Viren gekommen sein. Aufgrund der Neubewertung des klinischen Verlaufs der Hepatitis C sowie neuer diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten werde ihr empfohlen, umgehend einen Antrag auf Versorgung bei ihrem zuständigen Versorgungsamt zu stellen, damit eine medizinische Begutachtung eingeleitet werden könne.
Mit Eingangsdatum vom 9. April 1997 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt S. eine Beschädigtenversorgung nach dem BSeuchG. Zur Begründung gab sie an, durch die Anti-D-Immunprophylaxe an Hepatitis C erkrankt zu sein. Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis war die Klägerin am 11. September 1978 und stationär vom 17. bis 22. Oktober 1978 in der Frauenklinik des Bezirkskrankenhauses Sch. behandelt worden. Das Landeshygieneinstitut M. teilte auf Nachfrage des Beklagten am 15. Juli 1997 mit, aus den so genannten "Listen" der ehemaligen Bezirkshygieneinstitute ergebe sich, dass die Klägerin am 20. Oktober 1978 mit der Charge 090578 behandelt worden sei. Die vom Beklagten durchgeführten medizinischen Ermittlungen bei den behandelnden Ärzten der Klägerin ergaben die Befunde einer chronisch-aktiven HCV-RNA positiven Hepatitis C (Bericht des Doz. Dr. med. habil. G. vom 20. Juni 1997 an Dr. N.) und einen Verdacht auf "chronische Hepatose mäßiger Aktivität, eventuell bei Zustand nach Hepatitis im Jahre 1986" (Bericht der Gemeinschaftspr...