Zusammenfassung
Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat dabei mitzuwirken. Die Mitwirkungspflichten sind gesetzlich definiert und im Sozialgesetzbuch abschließend aufgezählt (allgemeine Mitwirkungsobliegenheiten). Unangemessene Mitwirkungspflichten können abgelehnt werden. Der Sozialleistungsträger kann eine Sozialleistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn der Leistungsberechtigte seinen angemessenen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt. Die Mitwirkungspflichten gelten ergänzend zu spezialgesetzlichen Mitwirkungspflichten, soweit sich aus entsprechenden Vorschriften nichts Abweichendes ergibt. Sie ergänzen den Amtsermittlungsgrundsatz.
Sozialversicherung: Die Mitwirkungspflichten und ihre Grenzen ergeben sich aus den §§ 60 bis 65 SGB I. Aufwendungen, die durch die Erfüllung der Mitwirkungspflichten entstehen, werden nach § 65a SGB I ersetzt. Die Folgen einer unterlassenen Mitwirkung enthält § 66 SGB I. Die Möglichkeit, eine unberechtigt unterlassene Mitwirkung nachzuholen, ist in § 67 SGB I geregelt. Spezialgesetzliche Mitwirkungspflichten ergeben sich aus den anderen Sozialgesetzbüchern (z. B. Anzeige- und Bescheinigungspflichten nach § 56 SGB II). Die allgemeinen Mitwirkungspflichten gelten ergänzend, wenn sich aus spezialgesetzlichen Vorschriften nichts Abweichendes ergibt (§ 37 SGB I). Die Mitwirkung ergänzt die Amtsermittlung durch die Behörde (§ 20 SGB X). Die Vorschriften werden durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung ausgelegt (BSG, Urteil v. 28.3.2013, B 4 AS 42/12 R). Fehlt es aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke an einer Mitwirkungspflicht, ist § 60 SGB I analog anzuwenden (BSG, Urteil v. 29.3.2022, B 12 KR 1/20 R).
1 Mitwirkungspflichten
Die Mitwirkungspflichten treten ergänzend neben die besonderen Mitwirkungsobliegenheiten aller Sozialleistungsbereiche einschließlich der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches. Sie können eingefordert werden, wenn in den einzelnen Sozialleistungsbereichen keine abweichenden Regelungen enthalten sind. Die Vorschriften über die Mitwirkung betreffen Sozialleistungsberechtigte, die Sozialleistungen beantragen oder diese bereits beziehen.
Amtsermittlung
Die Behörde ist aufgrund eines Leistungsantrags verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Die Mitwirkung des Leistungsberechtigten ergänzt die Amtsermittlung. Ist der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotzdem nicht aufzuklären, geht die Unbeweisbarkeit des Leistungsanspruchs zulasten des Antragstellers (materielle Beweislastverteilung).
1.1 Angabe von Tatsachen
Sozialleistungsberechtigte haben
- alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind,
- zuzustimmen, dass auch Dritten die erforderlichen Auskünfte erteilt werden, soweit der zuständige Leistungsträger dies verlangt,
- Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen, wenn diese für die Leistung erheblich oder im Zusammenhang mit ihnen abgegeben worden sind, oder
- Beweismittel zu bezeichnen,
- auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.
Die Mitwirkungspflicht trifft auch Personen, die eine Leistung zu erstatten haben.
Erstattung von Leistungen
Leistungen sind zu erstatten, wenn sie zu Unrecht erbracht wurden. Dabei sind die §§ 45, 48 SGB X zu beachten. Der Leistungsträger erlässt über die Rückforderung einen Bescheid (Verwaltungsakt), der die Grundlage für den Einzug der Forderung bildet. Wurden die Leistungen unberechtigt durch einen Verwaltungsakt zugebilligt, ist dieser zuvor aufzuheben.
Der Einsatz von Vordrucken durch den Leistungsträger ist im Rahmen der Mitwirkungspflichten für den Leistungsberechtigten verbindlich. Davon kann nur in besonders begründeten Ausnahmefällen abgesehen werden.
Angabe von Tatsachen
Die Leistungsträger dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen nur solche Daten erheben, die im konkreten Fall erheblich sind. Der Leistungsberechtigte hat deswegen nur Tatsachen anzugeben, die für die Leistungsentscheidung erforderlich sind (Selbstauskunft). Die pauschale Verwendung von Formularen mit Fragen ist nicht zulässig, wenn diese den zu entscheidenden Sachverhalt nicht betreffen. Es ist ebenso unzulässig, pauschal oder vorsorglich eine Zustimmung zu Auskünften durch Dritte zu verlangen.
1.2 Persönliches Erscheinen
Sozialleistungsberechtigte sollen persönlich in den Diensträumen des Leistungsträgers erscheinen, damit
- der Leistungsantrag mündlich erörtert werden kann oder
- andere notwendige Maßnahmen für die Entscheidung über die Leistung ergriffen werden können.
Damit können komplizierte Sachverhalte im persönlichen Gespräch erörtert und ein Eindruck vom Sozialleistungsberechtigten gewonnen werden. Eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten ist nicht möglich. Ein Beistand kann dage...