Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Kündigungsschutz. Ermessensfehler des Widerspruchsausschusses bei der Hauptfürsorgestelle
Leitsatz (amtlich)
Der Widerspruchsausschuß bei der Hauptfürsorgestelle hat bei der Entscheidung über den Widerspruch des Schwerbehinderten gegen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses den der Kündigung zugrundeliegenden historischen Sachverhalt zu berücksichtigen. Weicht er hiervon im Widerspruchsbescheid ab und ist das Ermessen weder zugunsten des Schwerbehinderten noch zugunsten des Arbeitgebers „auf Null” reduziert, ist auf die Klage des Schwerbehinderten nur der Widerspruchsbescheid aufzuheben und damit das Verfahren in den Stand des Widerspruchsverfahrens zurückzuversetzen.
Normenkette
SchwbG §§ 15, 40
Verfahrensgang
VG Hannover (Urteil vom 27.04.1993; Aktenzeichen 3 A 1479/91) |
Tenor
Auf die Berufung der Beigeladenen wird – unter Zurückweisung ihrer Berufung im übrigen und der Berufung der Klägerin – das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – 3. Kammer – vom 27. April 1993 teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:
Der Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses – I. Kammer – bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten vom 24. Januar 1991 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27. Juli 1990 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Beteiligten tragen jeweils ihre eigenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die im Jahre 1947 geborene, nicht verheiratete Klägerin ist aufgrund eines Unfalls, den sie im Alter von 10 Jahren erlitten hat, auf dem linken Auge erblindet. Das Versorgungsamt … stellte im Jahre 1983 u. a. aufgrund dieser Behinderung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. fest.
Nach Erwerb der mittleren Reife und einjährigem Besuch der Höheren Handelsschule war die Klägerin etwa 13 Jahre lang als Sekretärin in der Personalabteilung eines Betriebes tätig. Im November 1979 wurde sie bei der … GmbH. in … als Sekretärin des Exportdirektors eingestellt. Nach Übernahme dieses Betriebes durch den Konzern … war sie bei mehreren Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen in verschiedenen Abteilungen als Sekretärin tätig.
Im Jahre 1984 stimmte der Beklagte einer Änderungskündigung zu, die u. a. zu einer Verringerung des Gehalts der Klägerin um eine Gruppe führte. Das Widerspruchsverfahren erledigte sich durch den Abschluß eines Vergleichs vor dem Arbeitsgericht …. Darin verpflichtete sich die damalige Rechtsvorgängerin der Beigeladenen u. a., zwei Jahre lang die alte Vergütung weiterzuzahlen und
„die Klägerin bei freiwerdenden Positionen einer Sekretärin (bis zur Ebene der Hauptabteilungsleiter-Sekretärin) vorrangig zu berücksichtigen und diese Positionen zur Bewerbung der Klägerin rechtzeitig anzuzeigen.”
Im Jahre 1986 beantragte die damalige Rechtsvorgängerin der Beigeladenen die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen (Rationalisierung, Verringerung des Personals bei allen zum Konzern gehörenden Unternehmen, u. a. beim Werk …, Nichteinsetzbarkeit der Klägerin an Bildschirmarbeitsplätzen wegen ihrer Behinderung). Der Beklagte verweigerte die Zustimmung u. a. mit der Begründung, daß es in einem Unternehmen dieser Größe möglich sein müsse, für die schwerbehinderte Klägerin einen Arbeitsplatz zu finden, der ihrer Behinderung und ihren Fähigkeiten entspreche. Das nach erfolglosem Widerspruch anhängig gemachte Klageverfahren erklärten die Beteiligten für erledigt, nachdem die in diesem Verfahren angefochtene Zustimmung erteilt worden war.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 1988 beantragte die damalige Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erneut die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen und trug u. a. vor: Es sei geplant, in dem Werk … noch Kunststoff teile herzustellen und Lackierarbeiten auszuführen. Zahlreiche weitere Arbeitsplätze müßten abgebaut werden. Nach einem mit dem Betriebsrat ausgearbeiteten Sozialplan sollten möglichst viele Mitarbeiter zu den Betriebsstandorten … und … und zu anderen Unternehmen des Konzerns in … versetzt werden. Für die Klägerin bestehe diese Möglichkeit nicht. Ausscheidende Mitarbeiter erhielten eine Abfindung, die im Falle der Klägerin rd. 31.000,– DM betrage. In der zweiten Einigungsverhandlung am 5. Juli 1990 erhöhte der Vertreter des Arbeitgebers das Abfindungsangebot auf rd. 65.000,– DM. Die Klägerin, die seit dem 20. November 1989 unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit freigestellt war, lehnte das Angebot ab.
Nach Anhörung der Klägerin, des Arbeitsamtes, des Betriebsrats und des Vertrauensmannes für Schwerbehinderte bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen sowie nach zwei ergebnislosen Einigungsverhandlungen erteilte der Beklagte mit Besche...