Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. stationäre Unterbringung. Klage eines Leistungsberechtigten gegen den Sozialhilfeträger wegen der Zuordnung zu einem bestimmten Leistungstyp. Aktivlegitimation. Anspruch auf individuelle Bedarfsdeckung. Gewährleistungsverantwortung des Sozialhilfeträgers. Herleitung des Vergütungsanspruchs des Einrichtungsträgers aus den Vereinbarungen nach § 75 Abs 3 SGB 12. Einstweilige Anordnung. Folgenabwägung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Aktivlegitimation des Leistungsberechtigten beim Streit über die Zuordnung der ihm vom Sozialhilfeträger bewilligten Eingliederungshilfe zu einem mit der erbringenden Einrichtung vereinbarten Leistungstyp.
2. Zwar bildet der für eine Einrichtung nach § 75 Abs 3 SGB 12 vereinbarte Leistungstyp nur den für eine bestimmte Gruppe von Leistungsberechtigten abstrakt definierten Hilfebedarf ab. Doch wird mit der Zuordnung zu einem Leistungstyp über Maß und Intensität der im Einzelfall durch die Einrichtung zu leistenden Hilfe entschieden. Daher betrifft die Zuordnung zu einem Leistungstyp nicht allein die Vergütung der Einrichtung, sondern auch die individuelle Bedarfsdeckung des Leistungsberechtigten und damit den Kern seines Sozialhilfeanspruchs.
3. Da Leistung und Gegenleistung auch bei Vereinbarungen nach § 75 Abs 3 SGB 12 in einem synallagmatischen Verhältnis stehen, spricht alles dafür, aus den im Leistungserbringungsverhältnis geschlossenen Vereinbarungen einen originären Vergütungsanspruch des Einrichtungsträgers gegen den Sozialhilfeträger herzuleiten.
Normenkette
SGB XII § 75 Abs. 3, §§ 53-54, 19 Abs. 3; SGB IX § 55; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 19. Juni 2013 abgeändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für die Zeit vom 4. April 2013 bis zum 31. Dezember 2013, längstens jedoch bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 18. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2013, die Kosten für die Unterbringung der Antragstellerin in der intensiv-pädagogischen Wohngruppe der DRK-Wohnstätte K…-S… zu übernehmen.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten für beide Rechtszüge zu drei Vierteln zu erstatten; weitere außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die vorläufige Fortführung der Unterbringung in der intensiv-pädagogischen Wohngruppe (IPW) eines Heimes.
Die 1981 geborene Antragstellerin leidet unter Verhaltensstörungen bei Intelligenzminderung (Imbezillität), die sich in starker Affektlabilität, geringer Frustrationstoleranz, Impulskontrollstörung und starker Unruhe äußern. Zudem hat sie das rechte Auge verloren und es besteht ein (medikamentös eingestelltes) epileptisches Anfallsleiden. Sie ist schwerbehindert (Grad der Behinderung von 100, Merkzeichen G, H und RF) und steht unter Betreuung. Seit 2002 ist sie in dem vom Beigeladenen betriebenen Wohnheim untergebracht und erhält hierfür vom Antragsgegner als überörtlichem Träger der Sozialhilfe Leistungen der Eingliederungshilfe. Mit Einführung des sog. Metzler-Verfahrens in der Einrichtung zum 01.03.2007 wurde die Antragstellerin der Hilfebedarfsgruppe 4 zugeordnet. Im Juni 2009 stellte der Medizinisch-pädagogische Dienst des Antragsgegners bei der Antragstellerin aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten (überwiegend Eigen-, aber auch Fremdaggressionen) einen individuellen Betreuungsbedarf fest, der im Rahmen der Regelversorgung nicht - auch nicht mit der Hilfebedarfsgruppe 5 - abgedeckt werden könne. Daher wurde für das Wohnheim des Beigeladenen die Einrichtung einer IPW angeregt und bis dahin für die Antragstellerin ein Gruppensetting mit intensiverer Betreuung empfohlen. Daraufhin übernahm der Antragsgegner ab 01.08.2009 die erhöhten Betreuungskosten der Antragstellerin in Höhe von 130,06 € betreuungstäglich in Form von Einzelentgelten (Bescheid vom 06.07.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30.01.2012).
Nach Abschluss der erforderlichen Umbaumaßnahmen ging die IPW des Beigeladenen im Februar 2012 in Betrieb. Seither ist die Antragstellerin dort untergebracht. Mit Wirkung ab 01.05.2012 haben Beigeladener und Antragsgegner für die IPW, für die Regelversorgung und für ein zwischen beiden liegendes Leistungsangebot (sog. Zwischenangebot) Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen geschlossen. Hinsichtlich der Antragstellerin holte der Antragsgegner eine Stellungnahme seines Sozialpädagogischen Dienstes vom 15.10.2012 ein, wonach im Ergebnis der intensiven Förderung seit 2009 die Verhaltensabnormalitäten abgenommen hätten und der Hilfebedarf dem sog. Zwischenangebot zuzuordnen sei; um den Wechsel dorthin vorzubereiten, erscheine eine befristete intensivpädagogische Betreuung bis Ende 2012 sinnvoll. Mit Bescheid vom 18.10.2012, berichtigt am 29.10.2012, beendete der Antragsgegner...