Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitssuchende. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Heilung Anhörungsfehler. Sanktionsbescheid bei Maßnahmeabbruch. zumutbare Ausbildung. Rechtsprüfung und Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen der Heilung eines Anhörungsfehlers.
2. Zur Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides gemäß § 31 Abs 5 S 1 und 2, Abs 1 und 4 SGB 2 gegenüber einem Hilfebedürftigen unter 25 Jahren.
3. Zur Zumutbarkeit der Aufnahme einer Ausbildung.
Normenkette
SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB II § 31 Abs. 5 Sätze 1-2, 5, Abs. 1, § 39 Nr. 1; SGB X § 24
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 16. Mai 2008 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 19.03.2008 wird angeordnet. Ferner wird die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids vom 19.03.2008 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Antrags- und das Beschwerdeverfahren.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Aussetzung der Vollziehung des Sanktionsbescheides der Antragsgegnerin (Ag.) vom 19.03.2008.
Der 1988 geborene Antragsteller (Ast.), der seit seiner Geburt keinen Kontakt zu seiner Mutter hat, musste die erste Klasse wegen Leistungsschwierigkeiten wiederholen und besuchte ab der dritten Klasse eine Förderschule für Lernbehinderte. Später war er bis zu seinem 18. Geburtstag in Kinderheimen bzw. im Jugendhaus untergebracht.
In den Jahren 2001 und 2004 kam es auf Veranlassung des Vaters des Ast., der die Ursachen für die Verhaltensauffälligkeiten des Ast. klären lassen wollte, zu Untersuchungen im S. Krankenhaus A., Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.
Seit Oktober 2006 bezieht der Ast. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Wegen mehrfachen unentschuldigten Fehlens Anfang Mai 2007 wurde er von einer am 25.04.2007 begonnenen Arbeitsgelegenheit bei der Stadtverwaltung Gröditz entbunden. Die Ag. erließ am 14.06.2007 einen Sanktionsbescheid, der einen vollständigen Wegfall der Leistungen für den Zeitraum von Juli bis September 2007 zum Inhalt hatte.
Zu einem Vorstellungstermin zu einer Arbeitsgelegenheit bei der Gemeindeverwaltung R. erschien der Ast. am 15.06.2007 nicht. Im Rahmen der Anhörung erklärte er, an diesem Tag zur Arbeitsvertragsunterzeichnung nach C. aufgebrochen zu sein. Weil er von der Ag. keine Fahrkarte erhalten habe, sei er wieder umgekehrt. Die Ag. verhängte mit Bescheid vom 16.10.2007 gegen ihn eine weitere Sanktion in Form des Wegfalls der Regelleistung für den Zeitraum von November 2007 bis Januar 2008.
Auf Grund des Nichtbefolgens einer Einladung zu einer persönlichen Vorsprache am 06.08.2007 erfolgte mit Bescheid vom 21.08.2007 eine Absenkung der Regelleistung um 10 %.
Am 23.07.2007/16.08.2007 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung, in der sich die Ag. zur Förderung einer Trainingsmaßnahme bei der ... GmbH und der Ast. zur Teilnahme an der Trainingsmaßnahme “Eignungsfeststellung Hauptschulabschluss„ verpflichteten. Vom 13.08.2007 bis zum 17.08.2007 nahm der Ast. an der Maßnahme teil. Die Maßnahme wurde mit der Feststellung beendet, der Ast. sei bei besonderer Förderung in der Lage, einen Hauptschulabschluss zu erlangen. Am 03.09.2007 begann der Ast. die Maßnahme “Arbeiten und Lernen - Erwerb des Hauptschulabschlusses mit berufspraktischem Einsatz„. Im September 2007 fehlte der Ast. unentschuldigt zwölf Tage und entschuldigt einen Tag. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der Ag. gab der Ast. zur Erklärung für seine Fehlzeiten an, ihm sei die Maßnahme zu schwer. Die Ag. verwies ihn auf möglichen Stützunterricht durch den Bildungsträger und mahnte eine bessere Einstellung des Ast. zur Maßnahme an.
Am 12.10.2007 mahnte die ... GmbH den Ast. ab, da er bis dahin nur an sieben Tagen an der Ausbildung teilgenommen und damit an 18 Tagen unentschuldigt gefehlt habe. Am 02.11.2007 erfolgte eine weitere Abmahnung, am 17.01.2008 die fristlose Kündigung zum 21.01.2008, nachdem der Ast. insgesamt 39 Tage unentschuldigt gefehlt hatte.
Am 27.02.2008 teilte die Ag. dem Ast. Folgendes mit:
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“Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) |
hier: Anhörung gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) |
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Sehr geehrter Herr ..., |
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dieser Fragebogen dient der Prüfung, ob in Ihrem Fall Arbeitslosengeld II abzusenken ist oder wegfällt. |
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Begründung: |
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Sie haben durch Ihr Verhalten Anlass für den Ausschluss aus einer zumutbaren Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit gegeben. |
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Der Maßnahmeträger hat mir als Grund für den Ausschluss aus der Bildungsmaßnahme folgendes mitgeteilt: Sie haben trotz Abmahnungen und vielfachen Gesprächen Ihre Arbeitseinstellung nicht geändert. Unentschuldigte Fehltage und Ihr deutliches Desinte... |