Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorverfahren. Widerspruchseinlegung. Schriftform. einfache E-Mail. E-Mail mit einem als PDF-Datei angehängten Schreiben. eingescannte Unterschrift. elektronische Form. Ausdruck bei der Behörde. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Urkunde. Eingliederungsvereinbarung. Erledigung wegen Zeitablaufs. Rechtsschutzbedürfnis. Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Widerspruchseinlegung mittels einfacher E-Mail stellt keine Widerspruchseinlegung im Sinn des § 84 Abs 1 S 1 SGG dar.
2. Eine E-Mail mit angehängter PDF-Datei - das Original des Schreibens hatte der Widerspruchsführer mit seiner handschriftlichen Unterschrift versehen - erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der elektronischen Form im Sinne des § 36a Abs 2 S 1 SGB 1.
3. Jedoch genügt der bei der Behörde erstellte Ausdruck der auf elektronischem Wege übermittelten Datei der Schriftform im Sinne des § 84 Abs 1 S 1 SGG. Der Ausdruck verkörpert die Widerspruchseinlegung in einem Schriftstück und schließt mit der Unterschrift des Widerspruchsführers ab. Dass die Unterschrift nur in der Kopie wiedergegeben ist, ist unschädlich, weil der im Original unterzeichnete Schriftsatz vom Widerspruchsführer eingescannt und elektronisch als PDF-Datei übermittelt und von der Behörde entgegen genommen und ausgedruckt worden ist.
4. Zwar entsteht bei der Übermittlung einer einer E-Mail angehängten PDF-Datei - anders als beim Computerfax - nicht unmittelbar allein auf Veranlassung des Absenders beim Empfänger eine körperliche Urkunde. Vielmehr ist ein Zutun des Empfängers in Form des Ausdruckens erforderlich. Der Empfänger ist nicht verpflichtet, die Datei auszudrucken. Wird sie nicht ausgedruckt, entsteht zu keiner Zeit eine körperliche Urkunde beim Empfänger. Die Schriftform ist in diesem Falle nicht gewahrt. Das Risiko, dass ein als PDF-Datei per E-Mail übermitteltes Schreiben nicht ausgedruckt wird und damit nicht die Schriftform erlangt, trägt der Absender. Druckt der Adressat die Datei jedoch aus, entsteht - ebenso wie beim Computerfax - eine körperliche Urkunde.
Normenkette
SGG § 84 Abs. 1 S. 1, § 86a Abs. 2 Nr. 4, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB I § 36a Abs. 2; SigG § 2; SGB II § 39 Abs. 1 Nr. 1; SGB X § 39 Abs. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 4. Februar 2011 aufgehoben. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 3. Dezember 2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. November 2010 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind weder für das Antrags- noch das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid des Antragsgegners.
Der Antragsgegner bewilligte dem 1949 geborenen Antragsteller und seinem 1988 geborenen Sohn mit Bescheid vom 21.08.2010 für den Zeitraum vom 01.10.2010 bis 31.03.2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 1.013,11 EUR/Monat.
Im Rahmen eines Gesprächs übergab der Antragsgegner dem Antragsteller den Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung. Hiergegen legte der Antragsteller einen vorgefertigten Widerspruch ein und lehnte die Unterzeichnung der Eingliederungsvereinbarung nachdrücklich ab.
Der Antragsgegner übersandte dem Antragsteller daraufhin den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 30.11.2010. Dieser entfaltete ausweislich seines Wortlautes Wirkung für den Zeitraum vom 30.11.2010 bis 29.05.2011, soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird. Gegen diesen Bescheid richtete sich das der E-Mail vom 03.12.2010 angehängte Widerspruchsschreiben des Antragstellers im Portable-Document-Format (PDF). Das Original des Schreibens mit seiner handschriftlichen Unterschrift hatte der Widerspruchsführer zuvor eingescannt.
Der Antragsteller hat am 06.12.2010 beim Sozialgericht Dresden (SG) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs begehrt. Die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt verstoße gegen Artikel 3 der Charta der Menschenrechte, gegen Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen zahlreiche Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB).
Das SG hat mit Beschluss vom 04.02.2011 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 03.12.2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30.11.2010 angeordnet. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 30.11.2010. Die dem Antragsteller in der Eingliederungsvereinbarung auferlegte Pflicht, vor jeder Personaleinstellung sowie Investition über 150,00 EUR eine vorherige Genehmigung durch die Leistungsabteilung einzuholen, sei rechtswidrig. Diese Regelung verstoße gegen das durch Artikel 14 GG geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Durch die Auflage, Investitionen über 150,00 EUR durch die Leistungsabteilung vor...