Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. persönliche Arbeitslosmeldung. Rückwirkung bei fehlender Dienstbereitschaft. Beschränkung auf den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit. keine Anwendung auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit. keine planwidrige Regelungslücke. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Gesetzeswortlaut von § 141 Abs 3 SGB III stellt für die Rückwirkung einer Arbeitslosmeldung auf den ersten Tag "der Beschäftigungslosigkeit" ab.

2. Die beiden gesetzlich definierten Begriffe "Beschäftigungslosigkeit" und "Arbeitslosigkeit" können vom Wortlaut und von der Gesetzessystematik her im Rahmen von § 141 Abs 3 SGB III nicht gleichgesetzt werden.

3. Die Voraussetzungen für eine erweiternde Auslegung von § 141 Abs 3 SGB III auf den ersten Tag "der Arbeitslosigkeit" sind nicht gegeben.

4. Für eine analoge Anwendung von § 141 Abs 3 SGB III auf den ersten Tag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit oder des Krankengeldbezuges fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.

5. § 141 Abs 3 SGB III ist mit Artikel 3 Abs 1 GG vereinbar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 15.02.2023; Aktenzeichen B 11 AL 40/21 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 8. April 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rückwirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung auf den Tag der fehlenden Dienstbereitschaft in einem Fall, in dem während der bereits bestehenden Beschäftigungslosigkeit die persönliche Arbeitslosmeldung erfolgt ist. Die Klägerin begehrt insofern die Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) bereits ab dem 29. Dezember 2018.

Die am 1971 geborene in A.... wohnhafte verheiratete Klägerin war vom 1. Mai 2016 bis zum 15. September 2017 bei der Y.... Pflegedienst X.... GmbH in A.... und vom 15. Mai 2018 bis zum 31. Juli 2018 als Alltagsbetreuerin im Malteserstift W.... in V.... beschäftigt. Sie bezog im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 24. Juli 2018 an 283 Tagen ein Entgelt in Höhe von insgesamt 11.976,23 EUR und sodann bis zum 28. Dezember 2018 Krankengeld.

Die Klägerin meldete sich, da die zuständige Dienststelle der Beklagten in A.... bereits geschlossen hatte, am 28. Dezember 2018, einem Freitag, nach 14.00 Uhr telefonisch beim Servicecenter der Beklagten ab dem 29. Dezember 2018 arbeitsfähig und arbeitsuchend und am 3. Januar 2019, einem Donnerstag, in der Dienststelle in U.... persönlich arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld.

Die zuständige Geschäftsstelle in A.... hat Montag, Dienstag und Freitag von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr sowie Dienstag von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr und die Geschäftsstelle in U.... Montag, Donnerstag und Freitag geöffnet. Am 2. Januar 2019, einem Mittwoch, waren beide Geschäftsstellen nicht dienstbereit.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 18. Februar 2019 wegen fehlender Arbeitsbescheinigungen zunächst vorläufig ab dem 3. Januar 2019 für 360 Tage Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 21,75 EUR.

Am 1. März 2019 trat die Klägerin im Seniorenzentrum X.... T.... in S.... ein neues Arbeitsverhältnis als Betreuungskraft an. Daraufhin hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid auf Grund der erneuten Beschäftigungsaufnahme mit Bescheid vom 22. Februar 2019 ab dem 1. März 2019 auf.

Gegen den Bescheid vom 18. Februar 2019 legte die Klägerin am 18. März 2019 Widerspruch ein. Ihr sei beim Anruf am 28. Dezember 2018 gesagt worden, dass sie sich auf Grund der eingeschränkten Öffnungszeiten erst am 3. Januar 2019 persönlich in U...., R.... oder Q.... vorstellen könne. Die Agentur für Arbeit in A.... sei am 2. Januar 2019 und 3. Januar 2019 geschlossen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2019 zurück, weil der strittige Verwaltungsakt hinsichtlich der Höhe, des Beginns sowie der Dauer vorläufig und nicht zu beanstanden sei.

Die Klägerin hat am 17. April 2019 Klage erhoben. Die Rückwirkungsklausel müsse hilfsweise auf Grund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zur Anwendung kommen.

Mit Bescheid vom 6. Mai 2019 hat die Beklagte der Klägerin endgültig Arbeitslosengeld für 360 Kalendertage vom 3. Januar 2019 bis zum 28. Februar 2019 in Höhe von täglich 22,05 EUR auf der Grundlage eines Bemessungsentgeltes in Höhe von täglich 42,32 EUR (Lohnsteuerklasse IV, Prozentsatz 67) bewilligt. Die Durchführung eines weiteren Vorverfahrens werde abgelehnt.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 8. April 2020 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 6. Mai 2019 verurteilt, der Klägerin auch vom 29. Dezember 2018 bis zum 2. Januar 2019 Arbeitslosengeld zu zahlen. Die am 3. Januar 2019 erfolgte persönliche Arbeitslosmeldung, welche nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Willens-, sondern eine sogenannte Tatsachenerklärung darstelle und deshalb dem Rech...

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