Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigungsrente. Aberkennung. Unwürdigkeit. Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit. MfS-Offizier. Grenzsicherungssystem der DDR. Hinterbliebener

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Aberkennung einer Entschädigungsrente nach § 5 Abs. 1 ERG kann auch gegenüber dem Hinterbliebenen eines Entschädigten erfolgen.

2. Wer durch eine Tätigkeit als MfS-Beobachter aktiv dazu beigetragen hat, das Grenzsicherungssystem der DDR zu befestigen, der hat gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen.

 

Normenkette

ERG § 5 Abs. 1; SGB X 45; SGB X § 48

 

Verfahrensgang

SG Dresden (Urteil vom 26.09.2000; Aktenzeichen S 14 RA 124/98)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.10.2003; Aktenzeichen B 4 RA 52/02 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26. September 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klage gegen den Bescheid vom 13.12.2001 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland berechtigt war, der Klägerin das Recht auf Entschädigungsrente abzuerkennen.

Die Klägerin ist Witwe des am 1.12.1909 in Hamburg geborenen H. J. (J). Dieser wuchs nach dem Tod seiner Mutter (1912) und seines Vaters (1917) in einem Waisenhaus auf und besuchte die Volksschule bis zur 8. Klasse. Anschließend nahm er eine Lehre zum Schmied auf, die er allerdings abbrach. Von 1925 bis 1931 war er als Angestellter beim Jugendamt, Landarbeiter, Hausdiener und Werftarbeiter beschäftigt; anschließend war er bis 1933 arbeitslos. Im selben Jahr wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat vom Sondergericht Hamburg zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Mai 1945 wurde J aus der Haft entlassen und arbeitete bis 1948 als Ordnungsdienst und Lagerarbeiter beim Amt für Umsiedler in Riesa, anschließend bis 1952 als Erfassungskontrolleur beim Kreisrat Großenhain. Im Jahre 1928 war J in die SPD eingetreten, ein Jahr später zur KPD gewechselt (zugleich trat er dem RFB und RGO bei), der er bis zu ihrem Verbot 1933 und nach ihrer Neugründung ab 1945 angehörte. Ab 1946 war J Mitglied der SED, seit 1954 Leitungsmitglied der Grundorganisation der SED-Kreisdienststelle Riesa. Im Jahre 1949 wurde J als Verfolgter des Naziregimes (VdN) anerkannt. Vom 15.5.1954 an war er als hauptamtlicher Mitarbeiter beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig, zunächst als Oberfeldwebel und operativer Mitarbeiter der Bezirksverwaltung Dresden, Kreisdienststelle Riesa. Von Mai 1955 bis September 1961 war J als operativer Mitarbeiter bzw. Hilfssachbearbeiter und Sachbearbeiter im Range eines Unterleutnants bei der Bezirksverwaltung Dresden beschäftigt. Im Oktober 1961 wurde J zum Leutnant befördert. Er übte von Februar 1963 bis April 1967 die Tätigkeit als Hauptsachbearbeiter aus; ab Mai 1967 die eines Sachbearbeiters bei der Bezirksverwaltung Dresden (Abteilung VIII). Aufgrund seines Gesundheitszustandes wurde J mit Wirkung vom 31.3.1968 invalidisiert und erhielt eine Ehrenpension entsprechend den Bestimmungen der Versorgungsordnung. Während seiner Dienstzeit beim MfS hatte J zwei Geldprämien und zwei Tage Sonderurlaub „für gute Arbeit und hohe Einsatzbereitschaft” erhalten. Darüber hinaus wurde er mehrfach wie folgt ausgezeichnet: Medaille „Kampf gegen den Faschismus” (1958), Medaille für treue Dienste der NVA in Bronze (1959), Verdienstmedaille der DDR in Bronze (1960), Verdienstmedaille der NVA in Silber (1961), Medaille für treue Dienste der NVA in Silber (1964), Vaterländischer Verdienstorden in Silber (1965).

Nach der Beurteilung vom 24.5.1956 bedurfte der J „bei der gesamten Durchführung der operativen Arbeit” einer „guten Anleitung und dauernder Kontrolle”. Von der „Anwendung der Kritik und Selbstkritik” habe der J wenig Gebrauch gemacht. Die ihm übertragenen Aufgaben als stellvertretender Referatsleiter habe J nicht immer erfolgreich wahrnehmen können. Insbesondere habe er nicht „erzieherisch auf seine Genossen” eingewirkt. Seine fachlichen Leistungen im Rahmen der Beobachtungstätigkeit seien durchschnittlich gewesen. In der Beurteilung vom 9.12.1954 wurde insbesondere sein geringes theoretisches Wissen kritisiert; in der darauf folgenden Beurteilung vom 21.5.1955 wurden seine Arbeitsleistungen als „ungenügend” bezeichnet. J habe die „Grundsätze der Konspiration” missachtet und könne „operatives Material” nicht richtig einschätzen. Aufgrund dieser als „ungenügend” bewerteten Arbeitsleistungen wurde der J in die Bezirksverwaltung nach Dresden versetzt. Auch in der Beurteilung vom 31.1.1956 wurde die mangelnde Arbeitsorganisation des J, sein geringes theoretisches Wissen und seine geringe Aufnahmefähigkeit erwähnt. Positiv hervorgehoben wurde lediglich seine Verbundenheit gegenüber der DDR, der Sowjetunion und der SED. Nach der Attestation vom 11.9.1958 hatte der J schließlich eine „positive Entwicklung” genommen. Er könne nunmehr...

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