Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht. Renten- und Arbeitslosenversicherung- ehrenamtlicher Bürgermeister einer verbandsangehörigen Gemeinde. Beschäftigtenstatus. Aufhebung eines Bescheids ≪hier: Beitragsbescheid≫. Verfahrensfehler. Hinzuziehung eines Beigeladenen. rechtsgestaltende Wirkung iS von § 12 Abs 2 S 2 SGB 10. keine Aufdrängung einer Beteiligtenstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Es genügt, dass die kommunalverfassungsrechtlich und untergesetzlich geregelten Aufgabenzuweisungen bei einer abstrakt-generellen Betrachtung der sich daraus ergebenden Tätigkeitsfelder die Annahme rechtfertigen, dass die Zuständigkeit des ehrenamtlichen Bürgermeisters eine verbandsangehörigen Gemeinde auch durch zur Sozialversicherungspflicht führende Verwaltungsaufgaben geprägt wird, wenn ansonsten gesichert ist, dass von ihm überhaupt tatsächlich Verwaltungstätigkeiten ausgeübt werden und kein Fall der geringfügigen Beschäftigung vorliegt.
2. Von einer Prägung der Gesamttätigkeit des ehrenamtlichen Bürgermeisters durch Verwaltungstätigkeiten ist schon dann auszugehen, wenn die kommunalverfassungsrechtliche und durch untergesetzliche Normen näher geregelte Zuweisung von Verwaltungsaufgaben qualitativ nicht bloß völlig unbedeutende Bereiche erfasst. Ein quantitatives oder qualitatives Überwiegen der Verwaltungsaufgaben gegenüber sozialversicherungsfreien Repräsentationsaufgaben ist nicht erforderlich.
Orientierungssatz
1. Ein angefochtener Bescheid ist nicht schon wegen eines Verfahrensfehlers über die Hinzuziehung einer Beigeladenen (hier: ehrenamtlicher Bürgermeister) am Verwaltungsverfahren aufzuheben.
2. Die rechtsgestaltende Wirkung iS von § 12 Abs 2 S 2 SGB 10 besteht nicht nur dann, wenn der Arbeitgeber, der für den versicherungspflichtig Beschäftigten Beiträge zu entrichten hat, den vom Beschäftigten zu tragenden Beitragsanteil noch auf ihn abwälzen kann. Auch wenn diese Möglichkeit bereits verloren ist, greift die Feststellung der Versicherungspflicht des Beschäftigten insofern "gestaltend" in seine Rechtssphäre ein, als von ihr - zumindest in der Rentenversicherung in der Regel - erst nach Entrichtung der Beiträge Leistungsansprüche des Versicherten abhängen.
3. Gibt der Dritte durch sein Verhalten zu erkennen, dass er kein Interesse an einer Teilnahme am Verwaltungsverfahren hat, so kann ihm eine Beteiligtenstellung - entsprechend dem Antragsprinzip des § 12 Abs 2 S 2 SGB 10 - nicht aufgedrängt werden.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. April 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. als ehrenamtlicher Bürgermeister einer verbandsangehörigen Gemeinde.
Der Beigeladene zu 1. war in der Zeit vom 01.08.1994 bis 31.12.1997 ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde V. mit etwa 1.700 Einwohnern. Für diese Tätigkeit erhielt er auf der Grundlage der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die vorläufige Regelung der Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlichen Bürgermeister und ehrenamtlichen Beigeordneten vom 15.09.1992 (SächsAEVO, SächsGVBl. Nr. 31 vom 28.09.1991) und der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Regelung der Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlicher Bürgermeister vom 15.02.1996 (SächsAEVO, SächsGVBl. Nr. 4 vom 29.02.1996) monatliche Aufwandsentschädigungen, die zu zwei Dritteln steuerpflichtig waren (§ 3 Nr. 12 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. mit den Lohnsteuerrichtlinien 1993, 1996 (LStR)). Die Aufwandsentschädigung des Beigeladenen zu 1. betrug nach den vorliegenden Verdienstbescheinigungen zunächst 1.150 DM (brutto). Ab 01.03.1996 wurden laufend 2.180 DM (brutto) gewährt. Wegen der rückwirkenden Erhöhung ab 01.09.1995 erfolgte im April 1996 für die Monate September 1995 bis Februar 1996 eine Nachzahlung in Höhe von 5.780 DM.
Die Gemeinde V. ist Mitglied des ab Februar 1994 gegründeten Gemeindeverbandes. In der Verbandssatzung vom 09.12.1993 waren in § 3 die Erledigungsaufgaben nach Weisung der Verbandsgemeinde geregelt. § 4 der Verbandssatzung bestimmte den Übergang von Aufgaben auf den Verwaltungsverband. Nach § 5 Abs. 1 der Satzung konnte die Mitgliedsgemeinde dem Verwaltungsverband weitere Aufgaben einschließlich des Erlasses von Satzungen und Verordnungen durch öffentlich-rechtlichen Vertrag zur ständigen Erfüllung übertragen. Mit der Neufassung der Verbandssatzung vom 06.06.1996 wurde der Übergang von Aufgaben auf den Verwaltungsverband (§ 2) und die Erledigung von Aufgaben durch den Verwaltungsverband (§ 3) mit dem Wortlaut von § 7 und § 8 des Sächsischen Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit (SächsKomZG) bestimmt. Wegen der Einzelheiten der Regelungen wird auf die genannten Verbandssatzungen Bezug genommen. In der Satzung der Gem...