Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrentenanspruch. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe. langjährige eheähnliche Lebensgemeinschaft. Motive der Eheschließung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei einer kurzen Ehedauer eines krebskranken Versicherten bis zu seinem Tod kann die Versorgungsvermutung widerlegt werden. Dabei sind alle zur Eheschließung führenden Motive des Ehegatten zu würdigen.
2. Stehen neben dem Versorgungszweck zumindest gleichwertige andere Motive für die Eheschließung fest, können "besondere Umstände des Falls" vorliegen, die die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe widerlegen.
- Dauer der zuvor bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft (hier: 27 Jahre)
- gemeinsames Eigentum am Wohnhaus
- Ehewunsch vor Ausbruch der Erkrankung des Versicherten
- Ausreichende eigene Versorgung der Witwe
- deutliche Vorteile bei der Erbschaftssteuer
- Auskunftsrecht gegenüber Ärzten
- Entscheidungsbefugnis über Regelungen im Zusammenhang mit dem möglichen späteren Tod des Versicherten
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Witwenrente nach ihrem am 22. Oktober 2004 verstorbenen Ehemann J. G..zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente hat.
Die 1952 geborene Klägerin heiratete am 3. September 2004 den 1948 geborenen Versicherten J. G... Die Klägerin lebte mit ihm zuvor bereits seit 1977 zusammen und hatte sich 1984 mit diesem gemeinsam ein Haus gekauft. Mit notariellem Erbvertrag vom 10. Juni 2004 setzten die Klägerin und der Versicherte sich gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Die Klägerin war seit dem 1. April 1978 durchgehend vollzeitbeschäftigt bei der Firma Möbel K. Bad S.; der Versicherte war als ausgebildeter Starkstromelektriker als Produktionstechniker ebenfalls durchgehend vollzeitbeschäftigt.
Ab dem 7. Juli 2004 erkrankte der Versicherte, indem er zunächst unter sich stark steigernden Kopfschmerzen litt. Vom 24. Juli 2004 bis zum 27. August 2004 befand sich der Versicherte in stationärer Behandlung in den S.er Kliniken. Am 24. August 2004 wurden durch eine Magnetresonanztomographie multiple Hirnmetastasen festgestellt. Danach hielt sich der Versicherte vom 24. August bis 2. September 2004 erneut zur stationären Behandlung in den S.er Kliniken auf. Hierbei wurde ein maligner Tumor festgestellt. In dem Bericht des Krankenhauses heißt es: “… der Patient selbst wünscht eine stationäre Aufnahme erst am 27. September d. J.. Er wurde wiederholt auf die Dringlichkeit der Therapie hingewiesen…. … die Ernsthaftigkeit der Erkrankung scheint dem Patienten abschließend nicht bewusst oder verdrängt.„
Am 31. August 2004 meldeten sich der Versicherte und die Klägerin zur Trauung an. Am 3. September 2004 fand die standesamtliche Trauung statt.
Vom 27. September bis 30. September 2004 und vom 5. Oktober bis 6. Oktober 2004 erfolgten weitere Behandlungen des Versicherten in der Universitätsklinik Schleswig-Holstein, Campus K…, Klinik für Dermatologie. Vom 5. Oktober bis 19. Oktober 2004 wurde der Versicherte einer ambulanten Strahlenbehandlung als palliativer Maßnahme unterzogen. Am 22. Oktober 2004 verstarb der Ehegatte der Klägerin.
Am 16. Dezember 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente.
Mit Bescheid vom 14. März 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten zum Zeitpunkt seines Todes weniger als ein Jahr gedauert habe. Aus den ärztlichen Bescheinigungen ginge hervor, dass die Krankheit, die zum Tode des verstorbenen Ehegatten geführt habe, bereits vor der Eheschließung diagnostiziert worden sei. Die dargelegten Gründe seien nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung, dass eine Versorgungsehe vorläge, zu widerlegen.
Die Klägerin legte am 31. März 2005 Widerspruch ein. Aus der ärztlichen Bescheinigung von Dr. L.-S..ginge hervor, dass zum Zeitpunkt der Heirat nicht absehbar gewesen sei, dass bei dem verstorbenen Versicherten eine ernsthafte Erkrankung vorgelegen habe. Die Eheleute hätten langjährig zusammengelebt und ein gemeinsames Haus gekauft. Die Heirat habe eigentlich schon eher stattfinden sollen, sei jedoch durch plötzliche familiäre Ereignisse wie Todesfälle verschoben worden. Es sei nicht von einer Vorsorgungsehe auszugehen.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2005 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe mit dem verstorbenen Versicherten langjährig in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt und auch ...