Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Erbengemeinschaft. Inanspruchnahme eines von mehreren Gesamtschuldnern. Auswahl. Ermessensausübung

 

Orientierungssatz

1. Grundsätzlich ist § 102 Abs 1 S 1 SGB 12 eine Vorschrift mit einer zwingenden Rechtsfolge, das heißt der Leistungsträger hat bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm und solange kein Ausnahmefall nach § 102 Abs 3 SGB 12 gegeben ist, den Anspruch auf Kostenersatz gegen den Ersatzpflichtigen geltend zu machen, ohne dass es einer Ermessensausübung bedürfte. Jedoch ergibt sich ein Anspruch auf Ermessensbetätigung bei der Inanspruchnahme eines von mehreren Gesamtschuldnern aus § 421 BGB; dabei müssen an die Stelle von dessen Worten "nach Belieben" die Worte "nach Ermessen" treten.

2. Die Auswahl eines Gesamtschuldners für den Kostenersatz nach § 102 SGB 12 darf nicht ohne Bewertung der Umstände geschehen, die die tatsächliche finanzielle Belastung des Miterben im Rahmen der Erbengemeinschaft betreffen. Dabei spielen insbesondere eine bereits erfolgte Verteilung des Erbes, wenn sie vor Kenntnis von dem Kostenersatzanspruch durchgeführt worden ist, ein eventueller Verbrauch des ererbten Vermögens, die Anzahl der Erben, der Wert des Nachlasses und die Höhe des Kostenersatzanspruches sowie die Relation der beiden Werte zueinander und auch die Erbquote eine Rolle.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.09.2020; Aktenzeichen B 8 SO 3/19 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 2. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits auch für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zum Kostenersatz als Erbin für an M. L. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gezahlte Sozialleistungen.

Die Klägerin ist zusammen mit weiteren Geschwistern Erbin nach dem am XX 2007 verstorbenen ______ ______ (im Weiteren: Erblasser). Dieser lebte in einer vollstationären Einrichtung der L. S. e. V. und erhielt seit dem 22. Dezember 2004 Leistungen der Eingliederungshilfe vom Beklagten. Im Zeitraum vom 22. Dezember 2004 bis zum 29. März 2005 erbrachte der Beklagte dem Erblasser zuschussweise Leistungen der Eingliederungshilfe i. H. v. insgesamt 7.632,49 EUR.

Am XX 2005 verstarb ______ _______, die Mutter der Klägerin (im Weiteren: die Verstorbene). Letztere beerbte die Verstorbene neben ______ ___________, ______ ______ _______, ______ _______ ________, _______ _______- dem Erblasser - und _______ _______ ______, und zwar ausweislich des ursprünglichen Erbscheins vom XX 2005 als Kinder der Verstorbenen. Ein weiteres, noch in diesem Erbschein benanntes Kind der Verstorbenen wurde im Nachhinein rückwirkend für tot erklärt (Beschluss des Amtsgerichts Niebüll vom 9. Januar 2007 - 9 II 16/05); daraufhin zog das Amtsgericht Niebüll den Erbschein vom XX 2005 wegen Unrichtigkeit ein. Die vorgenannten sechs Personen - die Klägerin und ihre fünf Geschwister - wurden ausweislich des gemeinschaftlichen Erbscheins des Amtsgerichts Niebüll vom XX 2007 zu je 1/6 Erben des Nachlasses nach der Verstorbenen.

Zum Erbe der Verstorbenen gehörte ein Grundstück auf der Insel XX. Nach dessen Zwangsversteigerung und Abzug aller hierfür angefallenen Kosten verblieb ein Erlös i. H. v. 450.010,46 EUR, der bei Amtsgericht Niebüll hinterlegt ist. Darüber hinaus ist beim Amtsgericht Niebüll ein Betrag i. H. v. 94.358,40 EUR hinterlegt, der ebenfalls Teil der Erbmasse ist.

Ab dem Tag des Erbfalls (XX 2005) bewilligte der Beklagte dem Erblasser die Leistungen der Eingliederungshilfe nur noch darlehensweise. Zur Sicherung der Rückzahlung unterzeichnete der Betreuer des Erblassers am 13. Juli 2005 eine schriftliche Abtretungserklärung, nach der der Erblasser seinen Erbanspruchsanteil aus dem Erbe seiner Mutter an den Beklagten abtrete; das Amtsgericht Niebüll genehmigte die Erklärungen des Betreuers vormundschaftsgerichtlich durch Beschluss vom selben Tag.

Am XX 2007 verstarb der Erblasser. In der Zeit vom 30. März 2005 bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagte ihm Sozialhilfeleistungen (einschließlich Bestattungskosten abzüglich Rentenleistungen) i. H. v. insgesamt 70.460,75 EUR erbracht. Diesen Betrag - im Einzelnen aufgeschlüsselt nach Zeitabschnitten, Grund der Leistung (stationäre bzw. teilstationäre Betreuungskosten, Bestattungskosten) sowie Einnahmen aus Rentenleistungen - teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 6. August 2007 und 22. August 2007 mit.

Ausweislich des gemeinschaftlichen Erbscheins des Amtsgerichts Niebüll vom 10. April 2008 beerbte die Klägerin den Erblasser neben ihren Geschwistern (______ ___________, ______ ______ _______, ______ _______ ________ und ______ ________ _______). Die vorgenannten fünf Personen wurden ausweislich des genannten Erbscheins zu je 1/5 Erben des Nachlasses nach dem _______ _______.

Nach dessen Tod trat der Beklagte an die Erben heran und forderte die Auszahlung des Bet...

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