rechtskräftig: nein
Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsweg. Verkehrsunfall. Sekundenschlaf. Objektive Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Kommt es durch sog. Sekundenschlaf auf der Fahrt zur Arbeitsstätte mit dem PKW zu einem Verkehrsunfall, ist der Arbeitnehmer in der gesetzlichen Unfallversicherung geschützt.
2. Die objektive Beweislast dafür, dass schon vor Antritt der Fahrt eine berufs-fremde Übermüdung und Fahruntüchtigkeit vorgelegen haben, trägt die Beklagte.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
SG Itzehoe (Urteil vom 09.05.2005; Aktenzeichen S 4 U 43/04) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 9. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (Wegeunfall) im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der am … 1968 geborene Kläger war am Unfalltag, dem 5. Dezember 2003, bei der Firma BC G., R., beschäftigt und als Reiniger auf der K. Werft in S. eingesetzt. Eigenen Angaben zufolge befand er sich seit 5.30 Uhr auf dem Weg zur Arbeit, als er gegen 5.45 Uhr mit seinem Pkw auf die Gegenfahrbahn geriet und mit dem entgegenkommenden Pkw kollidierte. Hierbei zog er sich eine Unterschenkel-, Fußwurzel- und Mittelfußfraktur links sowie Schürfwunden am linken Ellenbogen und eine Schädelprellung zu.
Die Unfallursache ist zwischen den Beteiligten streitig. Der von der Polizeistation T. vernommene Zeuge Krystian K. hat am 25. Januar 2004 erklärt: Er habe sich etwa 30 Min. bis zum Eintreffen der Rettungskräfte um den Kläger gekümmert und mit ihm gesprochen, um ihn abzulenken. Der Kläger habe sich offenbar nur schwach daran erinnern können, dass er mit einem anderen Pkw kollidiert sei. Er habe sich nach dem Befinden des anderen Fahrers erkundigt. Auf die Frage nach der Unfallursache habe er geantwortet: „Vielleicht habe ich die Augen kurz zugemacht – ich bin vielleicht kurz eingenickt”. Nach einer gewissen Zeit des Überlegens habe er hinzugefügt: „Ich habe auch irgendwie das Steuer verrissen”. Nach seiner Einschätzung habe der Kläger unter Schock gestanden und Schmerzen im Bein gehabt.
Der an den Unfallort gerufene Polizeiobermeister (POM) B. hat den Sachverhalt wie folgt geschildert: Der Kläger habe sich eingeklemmt im verunfallten Pkw befunden. Er sei ansprechbar gewesen. Auf die Frage, ob er sich an den Vorfall erinnern könne, habe er geantwortet, dass er eingenickt und in den Gegenverkehr geraten sei. Weitere Fragen seien nicht gestellt worden, da der Kläger offensichtlich starke Schmerzen gehabt habe. Auch im Notarzteinsatzprotokoll und im Bericht des Durchgangsarztes, bei dem der Kläger um 7.10 Uhr eingetroffen ist, ist die Angabe des Klägers wiedergegeben, er sei auf dem Weg zur Arbeit kurz eingenickt.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11. Februar 2004 hat der Kläger hingegen gegenüber der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel vortragen lassen: Er habe ab dem Unfallgeschehen bis zum Samstagmorgen keinerlei Erinnerung mehr. Er wisse nicht, wie es zu dem Unfall gekommen sei, dass er sich noch am Unfallort unterhalten habe und dass er im Westküstenklinikum in H. Angaben gemacht habe. Er sei wie jeden Morgen um 4.45 Uhr aufgestanden und um 5.30 Uhr von seinem Haus in W. aus zur Arbeit aufgebrochen. Zuvor habe er eine völlig normale Nacht verbracht. Er sei das frühe Aufstehen gewohnt und ausgeruht gewesen. Er sei weder erkrankt gewesen, noch habe er sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden. Warum er von der Fahrbahn abgekommen sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Falsch sei jedoch, dass er übermüdet gewesen sei. Er habe zuvor annähernd acht Stunden fest geschlafen. Das Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Strafgesetzbuch) ist mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 Strafprozessordnung) eingestellt worden.
Gegenüber der Beklagten hat der Kläger am 26. Januar 2004 erklärt: Er habe keinerlei aktuelle Erinnerung an den Unfallhergang an sich. Er sei morgens normal aufgestanden, habe sich fit gefühlt, sei wach gewesen und habe keinerlei Alkohol genossen. Er schließe aus, dass er unmittelbar vor dem Unfall eingeschlafen sein könne. Im Wegeunfallfragebogen der Beklagten hat der Kläger am 3. Februar 2004 erklärt, er habe keine Erinnerung an den Unfallhergang an sich und an zwei Tage danach.
Mit Bescheid vom 4. März 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 5. Dezember 2003 ab. Zur Begründung führte sie aus: Ein Wegeunfall liege nicht vor. Der Kläger sei zunächst auf die Bankette zwischen der Fahrbahn und dem Rad- und Gehweg, dann zurück auf die Fahrbahn, anschließend wieder auf die Bankette und schließlich auf die Gegenfahrbahn geraten. Noch am Unfallort habe er gegenüber dem Polizeibeamten angegeben, dass er eingenickt sei. Gegenüber dem Zeugen K. habe er...