Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Pflegebedarf. Grundpflege. Verrichtung der Nahrungsaufnahme. Blutzuckermessung. Insulinpumpenversorgung. keine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme
Leitsatz (amtlich)
Blutzuckermessungen im zeitlichen Zusammenhang mit Mahlzeiten und die Vergabe von zusätzlichen Insulindosen stellen auch bei einer modernen pumpengesteuerten Insulintherapie keine verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen dar und bleiben bei der Ermittlung des Grundpflegebedarfes unberücksichtigt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 25. September 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des am .... ... 2005 geborenen Klägers auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI).
Der Kläger ist seit dem Alter von 3 Jahren an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt. Er ist mit einer Insulinpumpe versorgt. Gleichwohl unterliegt der Blutzucker großen Schwankungen. Zur Sicherung der Stoffwechsellage sind etwa zehn tägliche Blutzuckermessungen sowohl im zeitlichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme als auch unabhängig davon erforderlich.
Mit Antrag vom 18. Oktober 2011 beantragte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, Pflegegeld gegenüber der Beklagten, bei der er pflegeversichert ist. Die Beklagte holte zur Ermittlung des Grundpflegebedarfs ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 1. Februar 2012 ein. Gutachterin war die Pflegefachkraft D... P.... Diese ermittelte einen Pflegebedarf in der Körperpflege von sieben Minuten durchschnittlich kalendertäglich, wobei auf das Waschen des Unterkörpers, die Stuhlgangverrichtung und den Wechsel von Inkontinenzprodukten je eine Minute, auf das Richten der Bekleidung vier Minuten entfielen. Für die Ernährung veranschlagte sie einen Hilfebedarf von durchschnittlich fünf Minuten täglich, der in der Beaufsichtigung der Nahrungsaufnahme lag, und für die Mobilität zwei Minuten beim An- und Entkleiden. Insgesamt qualifizierte sie den Hilfebedarf in der Grundpflege, der über das bei einem gleichaltrigen gesunden Kind hinausgeht, auf 14 Minuten täglich. Daneben bestehe ein umfangreicher Behandlungspflegeaufwand, der vom Vater des Klägers geleistet werde. Dieser könne nach den aktuellen Begutachtungsrichtlinien und der einschlägigen Bundessozialgerichts(BSG)-Rechtsprechung zum Hilfebedarf von Kindern mit Diabetes aber nicht als grundpflegerischer Aufwand angerechnet werden.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2012 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung ab. Dagegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 28. Februar 2012, zu dessen Begründung er seinen Hilfebedarf ausführlich schilderte, insbesondere Ausführungen zum Schweregrad der Diabetes-Erkrankung und des damit verbunden Pflegeaufwandes durch seine Eltern machte und zwei Atteste aus der Pädiatrischen Klinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Standort Kiel, zum Ausmaß des bei ihm bestehenden Diabetes vorlegte. Nach Einholung einer Stellungnahme nach Aktenlage durch den Sachverständigen des MDK Dr. H.-C. V... wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2013 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger das erforderliche Mindestmaß an Hilfebedürftigkeit in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten durchschnittlich täglich nicht erreiche. Er weise abgesehen vom Diabetes mellitus den Entwicklungsstand eines gesunden gleichaltrigen Kindes auf. Seine lebenspraktischen Fähigkeiten, etwa das Vermögen zur eigenständigen Wahrnehmung der Körperpflege, des An- und Auskleidens und der Nahrungsaufnahme, seien altersentsprechend entwickelt. Die infolge der Diabetes-Erkrankung erforderlichen Blutzuckermessungen und zusätzlichen Insulininjektionen könnten im Rahmen des Hilfebedarfs der Grundpflege aber nicht berücksichtigt werden. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. Februar 1998 im Verfahren B 3 P 3/97 R. Es werde in keiner Weise angezweifelt, dass die Erkrankung und der damit verbundene Zeitaufwand für den Kläger und seine Eltern sehr belastend seien. Allerdings lasse sich nach den eingeholten sozialmedizinischen Gutachten daraus kein Anspruch auf Leistungen der Pflegestufe I herleiten.
Mit der am 29. Juli 2013 bei dem Sozialgericht Kiel erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er vorgetragen, entgegen der Darstellung der Beklagten ständen insbesondere die Entscheidungen des Bundessozialgerichts von 1998/99 seinem Anspruch nicht entgegen. Er müsse grundsätzlich vor Mahlzeiten nach gründlichem Händewaschen eine Blutzuckermessung durchführen. Aufgrund des erhobenen Zuckerwertes werde unmittelbar danach gegebenenfalls eine Korrekturdosis Insulin gespritzt. Un...