Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Vergütung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Haus-/Fachärztliche Bereitschaftspauschale nach Gebührenordnungsposition (GOP) 01435 EBM-Ä (juris: EBM-Ä 2008). Sprachbarrieren keine Praxisbesonderheit. keine arztbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Vergleichsgruppenbildung bei BAG. frühere Beratung über die unwirtschaftliche Abrechnung
Leitsatz (amtlich)
1. Sprachbarrieren in der Behandlungssituation sind keine Praxisbesonderheit, die eine überdurchschnittlich häufige Abrechnung der GOP 01435 EBM-Ä (Haus-/Fachärztliche Bereitschaftspauschale) durch den anderen BAG-Partner zu recht-fertigen vermag.
2. Das Abrechnungsverhalten für abgerechnete Einzelleistungen (GOP EBM-Ä) von Mitgliedern einer BAG aus Vertragsärzten ist nicht arztbezogen auf Wirtschaft-lichkeit zu prüfen.
3. Bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung von Einzelleistungen (GOP EBM-Ä) ist als Vergleichsgruppe eine solche aus allen die geprüfte GOP EBM-Ä abrechnenden BAGen der Fachgruppe zu bilden und diese Ansatzfrequenz der gebildeten Ver-gleichsgruppe ist ins Verhältnis zu der Ansatzfrequenz der geprüften Praxis einer BAG zu setzen.
4. Wenn ein Vertragsarzt bereits über die unwirtschaftliche Abrechnung einer GOP EBM-Ä beraten wurde und später eine unwirtschaftliche Abrechnung einer anderen GOP EBM-Ä festgestellt wird, ist er vor einem Regress nicht erneut zu beraten.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. März 2022 und der Beschluss des Beklagten vom 29. November 2017 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, über die Wirtschaftlichkeit der von der Berufsausübungsgemeinschaft des Klägers in den Quartalen II/2015 und III/2015 abgerechneten GOPen 01435 EBM-Ä unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Vor-, Klage- und Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.127 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Honorarkürzung für abgerechnete ärztliche Leistungen im Wege einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und betrieb mit der Ärztin für Allgemeinmedizin P... I... eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) in K... . Die beiden Ärzte wurden für das Quartal I/2006 dahingehend beraten, dass bei der Prüfung einzelner Gebührenordnungspositionen (GOPen) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für Ärzte (EBM-Ä) von einem offensichtlichen Missverhältnis ausgegangen werde, wenn der zweifache Gruppendurchschnitt der Abrechner überschritten werde und dass die Anzahl abgerechneter GOPen 03001 EBM-Ä(Koordination der hausärztlichen Betreuung mit mindestens einer der nachfolgenden - gelisteten - Indikationen) im Vergleich zur Gruppe diesen Grenzwert überschreite und dafür kein erkennbarer Grund vorliege.
Die Prüfungsstelle der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig-Holstein (Prüfstelle) stellte für die Quartale II/2015 und III/2015 fest, dass der Kläger die GOP 01435 EBM-Ä („Haus/Fachärztliche Bereitschaftspauschale“) im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt öfter abgerechnet hatte (Mitteilung vom 24. November 2016). Nach Anhörung des Klägers setzte die Prüfstelle mit Bescheid vom 5. September 2017 einen Regress für das Quartal II/2015 iHv 356,20 Euro und für das Quartal III/2015 iHv 771,12 Euro fest. Unter Berücksichtigung der Ansatzfrequenzen der für diese Prüfung gebildeten Untergruppe der in einer BAG tätigen Hausärzte von 5,1 (Quartal II/2015) und 4,8 (Quartal III/2015) überschreite der Kläger den doppelten Untergruppenwert um 52 bzw 119 abgerechnete Leistungen der GOP 01435 EBM-Ä, die als unwirtschaftlich zu kürzen seien.
Dagegen legte der Kläger am 5. Oktober 2017 Widerspruch ein. Gegen einen Regress brachte er vor, die arztbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung sei in einer Gemeinschaftspraxis unzulässig, da eine BAG als Leistungserbringer abrechne und insoweit geprüft werden müsse. Eine arztbezogene Prüfung in einer BAG mache es unmöglich, in einer BAG die Abrede zu treffen, eine Leistung werde nur von einem BAG-Mitglied erbracht. Dieses werde dann auffällig, wenngleich die Praxis selbst nicht auffällig sei. Mit seiner BAG-Partnerin führe er eine überdurchschnittlich große BAG mit einem hohen Anteil an Patienten mit Migrationshintergrund und geringem Einkommen. Dieser Umstand bedinge eine hohe Anzahl an Arzt-Patienten-Kontakten, die in der Regel mit demselben Behandler bestünden. Lediglich dann, wenn der Behandler sich in einer Untersuchung befinde oder einen Hausbesuch durchführe, übernehme das andere BAG-Mitglied die Befundung eines EKGs oder die Dosiseinstellung einer Blutdrucktherapie, wobei er auf die seit Jahren eingespielten Gepflogenheiten zur Dokumentation in der Praxis zu...