Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. bedarfsorientierte Grundsicherung. Anwendbarkeit von § 44 SGB 10. Einkommenseinsatz. Anrechnung des Kindergeldes. volljähriges behindertes Kind
Orientierungssatz
1. Bei Leistungen nach §§ 41ff SGB 12 und nach dem GSiG handelt es sich um Sozialleistungen iS des § 44 Abs 1 S 1 SGB 10.
2. Das an die Eltern ausgezahlte Kindergeld eines in häuslicher Gemeinschaft lebenden volljährigen behinderten Kindes ist nicht auf die Leistungen nach §§ 41ff SGB 12 bzw nach dem GSiG anzurechnen.
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Nachzahlung von Leistungen zur Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) und dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 31.05.2005.
Die ... 1978 geborene Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und dauerhaft erwerbsgemindert. Die Klägerin wohnt bei ihren Eltern. Ihre Mutter ist zu ihrer Betreuerin bestellt. Die Klägerin bezieht seit dem 01.01.2003 Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Dabei rechnete der Beklagte in der Zeit vom 01.01.2003 bis zum 31.05.2005 das Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR, welches die Eltern der Klägerin erhielten, als Einkommen der Klägerin an. Die entsprechenden Bescheide vom 02.01.2003, 24.03.2003, 08.07.2003, 20.11.2003, 18.02.2004, 24.03.2004, 26.04.2004, 24.08.2004, 23.09.2004, 25.11.2004, 28.12.2004, 22.02.2005 und 02.03.2005 wurden bestandskräftig. Mit Bescheid vom 11.05.2005 hob der Beklagte seinen bisherigen Bewilligungsbescheid auf und berechnete die Leistungen ab dem 06.05.2005 neu. Auch in diesem Bescheid berücksichtigte er das an die Eltern gezahlte Kindergeld als Einkommen der Klägerin.
Zur Begründung ihres hiergegen mit Schreiben vom 03.06.2005 eingelegten Widerspruches trug die Klägerin vor, dass nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.04.2005 (Az.: 5 C 28.04) Kindergeld grundsätzlich Einkommen desjenigen sei, dem es tatsächlich zufließe. Dies sei regelmäßig, und auch hier, der kindergeldberechtigte Elternteil. Die Klägerin hat auch um Überprüfung der Anrechnung des Kindergeldes für die Vergangenheit.
Am 06.09.2005 erließ der Beklagte einen neuen Bescheid, in dem er ab dem Monat Juni 2005 das gezahlte Kindergeld nicht mehr als Einkommen der Klägerin berücksichtigte. Ebenfalls mit Bescheid vom 06.09.2005 lehnte der Beklagte eine Rücknahme der Bewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.05.2005, und eine Nachzahlung des angerechneten Kindergeldanteiles ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass § 44 nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes im Sozialhilferecht und auch im Bereich des Grundsicherungsgesetzes bzw. ab dem 01.01.2005 des Vierten Kapitels des SGB XII keine Anwendung finde. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 28.12.2005 zurück. Zur Begründung verwies er erneut darauf, dass § 44 auch im Grundsicherungsrecht keine Anwendung findet.
Hiergegen richtet sich die am 24.01.2006 erhobene Klage. Die Klägerin trägt vor, dass nach einer jüngeren Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes § 44 SGB X im Rahmen der Grundsicherung anwendbar sei. Hierfür spreche, dass es sich bei der Grundsicherung um eine auf Dauer angelegte Sozialleistung handele. Die Gesichtspunkte, die nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes im Bereich der einfachen Sozialhilfe dazu führten, dass § 44 SGB X keine Anwendung finde, könnten im Bereich der Grundsicherung nicht gelten.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2005 zu verurteilen, der Klägerin unter entsprechender Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 02.01.2003, 24.03.2003, 08.07.2003, 20.11.2003, 18.02.2004, 24.03.2004, 26.04.2004, 24.08.2004, 23.09.2004, 25.11.2004, 28.12.2004, 22.02.2005 und 02.03.2005 für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 31.05.2005 weitere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von 154,00 EUR monatlich zu zahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beklagte hat zu Unrecht in der Zeit vom 01.01.2003 bis zum 31.05.2005 das an die Mutter der Klägerin gezahlte Kindergeld als Einkommen der Klägerin angerechnet. Die Klägerin hat ei...