Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sozialhilfe. Neubemessung der Regelbedarfe bzw -sätze. Abschaffung des befristeten Zuschlages gem § 24 SGB 2 und der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ab 1.1.2011. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG und erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind.
2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen zu treffen. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175).
3. Die Regelbedarfsermittlung nach dem RBEG ist - jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum Januar 2011 - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das verwendete Statistikmodell, dh die Bedarfsermittlung auf Basis von Sonderauswertungen, die das Statistische Bundesamt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2008 durchgeführt hat, ist als vertretbare Methode zur realitätsnahen Bestimmung des Existenzminimums zu betrachten.
4. Auch der Wegfall des Zuschlags gemäß § 24 SGB 2 aF und der Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge gem § 3 S 1 Nr 3a SGB 6 aF durch das HBeglG 2011 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die verfassungsgemäße Höhe und Zusammensetzung der den Klägern seit dem 01.01.2011 zu gewährenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).
Der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 1) und die am 00.00.0000 geborene Klägerin zu 2) leben zusammen mit ihren drei 3-, 10- und 14-jährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft und beziehen seit Juli 2009 Leistungen nach dem SGB II, nachdem der Kläger zu 1) vorher Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) bezogen hatte.
Mit Bescheid vom 18.06.2010 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis 31.01.2011. Dabei berücksichtigte der Beklagte neben den Regelleistungen und den Kosten der Unterkunft einen Zuschlag gemäß § 24 SGB II a.F. in Höhe von monatlich 250,- EUR. Zudem wurden von dem Beklagten neben Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen auch Rentenversicherungsbeiträge übernommen. Mit Änderungsbescheiden vom 26.07.2010, vom 11.08.2010 und vom 23.08.2010 wurde die Leistungsbewilligung lediglich für den Monat August 2010 abgeändert.
Nach dem Beschluss des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 vom 09.12.2010 (BGBl. I, S. 1885) durch den Gesetzgeber erließ der Beklagte am 23.12.2010 hinsichtlich des Monats Januar 2011 einen Änderungsbescheid. Dabei wurde der Zuschlag gemäß § 24 SGB II a.F. nicht mehr berücksichtigt; zudem wurden keine Rentenversicherungsbeiträge mehr von dem Beklagten übernommen.
Den am 14.01.2011 erhobenen Widerspruch begründeten die Kläger damit, dass weiterhin der Zuschlag entsprechend § 24 SGB II a.F. zu berücksichtigen sei. Auch seien weiterhin Rentenversicherungsbeiträge zu übernehmen.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2011 zurück. Aufgrund des Inkrafttretens des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 zum 01.01.2011 seien der Zuschlag gemäß § 24 SGB II a.F. und die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge weggefallen, so dass der Bescheid nicht zu beanstanden sei.
Am 21.02.2011 haben die Kläger Klage erhoben. Die im angefochtenen Bescheid berücksichtigten Regelsätze entsprächen nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Entscheidung vom 09.02.2010. Da der Gesetzgeber nicht binnen der ihm gesetzten Frist eine Regelung zur Festsetzung der Regelsätze getroffen hat, sei es Aufgabe der Gerichte festzulegen, wie hoch die Regelsätze sein müssen, um ein würdevolles Existenzminimum zu sichern. Auch nach der erfolgten (rückwirkenden) Erhöhung der Regelbedarfe durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I, S. 453) sei nicht von einer Bedarfsdeckung durch die Regelsätze auszugehen. Zum einen sei die Reduzierung der Bezugsgruppe der Einpersonenhaushalte im Rahmen der Bedarfsermittlung von 20% auf 15% zu beanstanden. Zum anderen führe die Einbeziehung der sogenannten "Aufstocker" zu einem Zirkelschluss. Des Weiteren bestünden aufgrund der Tatsache, dass am Ende des Gesetzgebungsprozesses im Vermittlungsausschuss eine weitere Erhöhung der Regelbedarfe zum 01.01.2012 als Kompromiss beschlossen wurde, erhebliche Zweifel an der Nachvollziehba...