Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Anspruchseinschränkung. selbst zu vertretende Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Mitursächlichkeit eines durch das BAMF zu verantwortenden Abhandenkommens des Ausweises des Leistungsberechtigten während des Asylverfahrens
Orientierungssatz
Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 3 S 1 AsylbLG kommt nur dann in Betracht, wenn keine außerhalb des Verantwortungsbereichs des Leistungsberechtigten liegenden Sachverhalte mitursächlich für den Nichtvollzug der Abschiebung sind (vgl BSG vom 27.2.2019 - B 7 AY 1/17 R = SozR 4-3520 § 1a Nr 3 RdNr 27). Die Beweislast dafür trägt die Leistungsbehörde.
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 3 AsylbLG setzt voraus, dass keine außerhalb des Verantwortungsbereichs des Leistungsberechtigten liegenden Sachverhalte mitursächlich für den Nichtvollzug der Abschiebung sind (Anschluss an BSG vom 27.2.2019 - B 7 AY 1/17 R = SozR 4-3520 § 1a Nr 3).
2. Wird im Rahmen des Asylverfahrens ein Ausweis einbehalten, um dessen Echtheit zu prüfen, und sind weder der Verbleib des Ausweises noch das Ergebnis der Prüfung zu ermitteln, so ist nicht auszuschließen, dass der nicht vom Leistungsberechtigten zu verantwortende Verlust des Ausweises die wesentliche Ursache für den Nichtvollzug der Abschiebung ist. Die Beweislast trägt die Leistungsbehörde.
3. Ob die spätere Verweigerung zumutbarer Mitwirkungshandlungen durch den Leistungsberechtigten in einem solchen Fall noch eine Anspruchseinschränkung rechtfertigen könnte, wird offengelassen.
Tenor
Der Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 31. März 2018 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren.
Die Bescheide des Beklagten vom 22. März 2017 und 26. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 12. April 2018 werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Einschränkung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der Kläger beantragte im Oktober 1994 in Deutschland die Anerkennung als Asylberechtigter. Er gab an, liberianischer Staatsbürger zu sein und konnte im Rahmen seiner Anhörung im Asylverfahren auch einige Liberia betreffende Fragen beantworten. Er legte ein Dokument vor, bei dem es sich nach seinen Angaben um einen liberianischen Personalausweis handelte. Dieser Ausweis wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)), Außenstelle M , zur Überprüfung der Echtheit der Grenzschutzdirektion K übersandt. Über den Verbleib und das Ergebnis der Prüfung ist nichts bekannt.
Der Asylantrag des Klägers wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 1. November 1994). Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 16. März 1995; Beschluss Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 28. Mai 1998). Seitdem ist der Kläger in Deutschland geduldet.
Im Oktober 1998 wurde die Vorführung des Klägers in der liberianischen Botschaft angeordnet. Der Kläger erschien dort vor dem Eintreffen der Mitarbeiter der Grenzschutzdirektion und führte das Gespräch allein. Die liberianische Botschaft teilte mit, nicht von der liberianischen Staatsbürgerschaft überzeugt zu sein.
Im März 1999 erfolgte die Vorführung bei einem Vertreter der Botschaft der nigerianischen Botschaft. Nach Mitteilung des begleitenden Mitarbeiters der Grenzschutzdirektion blieb der Kläger bei der Angabe, aus Liberia zu stammen, konnte aber keine der zu Liberia gestellten Fragen beantworten; eine Mitarbeiterin der Botschaft habe die nigerianische Staatsbürgerschaft für möglich gehalten, die Erteilung eines Passersatzdokuments jedoch vor allem aufgrund fehlender Mitwirkung ausgeschlossen. Laut Aktenvermerk weigerte sich der Kläger anschließend, die Antragsformulare der nigerianischen Botschaft auszufüllen.
Der Kläger verwies 2004 auf die bei Asylantragstellung vorgelegte Identitätskarte. 2008 legte er eine schriftliche Erklärung eines O vor, wonach dieser den Kläger vom gemeinsamen Fußballspielen in M kenne. Ferner übersandte er ein liberianisches Dokument über die eidesstattliche Versicherung eines N , er kenne den Kläger seit der
Kindheit und könne bestätigen, dass dieser sei 1963 in M geboren und auch seine Eltern in Liberia geboren seien. Die Ausländerbehörde teilte darauf mit, sie könne die Echtheit nicht prüfen und der Kläger solle sich bei seiner Botschaft um Reisedokumente bemühen.
Der Kläger legte nunmehr eine Bescheinigung der liberianischen Botschaft vor, dass er dort einen liberianischen Pass beantragt habe, dieser jedoch nur vom Außenministerium in Liberia ausgestellt werden könne. Die Ausländerbehörde bat um ein ...