Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung - Einkommensermittlung
Orientierungssatz
1. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligung von Leistungen des SGB 2 gemäß § 45 SGB 10 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit i. S. des § 9 SGB 2 liegen dann nicht vor, wenn der Grundsicherungsträger zwar Feststellungen zum Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft getroffen hat, nicht aber zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens (BSG Urteil vom 25. 6. 2015, B 14 AS 30/14 R).
2. Der Grundsicherungsträger trägt nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Rücknahmeentscheidung, sondern er ist auch verpflichtet, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der maßgeblichen Normen zu ermitteln und festzustellen.
3. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die vom Grundsicherungsträger unterlassenen Ermittlungen des zu berücksichtigenden Einkommens nachzuholen. Der ergangene Rücknahmebescheid ist aufzuheben.
Tenor
Der Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2014 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2013.
Die 1971 geborene Klägerin zu 1) beantragte am 08.10.2004 für sich und ihren 2003 geborenen Sohn L., den Kläger zu 2), beim Beklagen Leistungen nach dem SGB II. Die Kläger wohnten zunächst in einer Mietwohnung in der H.-Straße in A. und zogen am 01.10.2007 in die E.-Straße in A..
Die Klägerin zu 1) gab bei der Antragstellung am 08.10.2004 an, allein erziehende Mutter zu sein. Die Frage nach dem Vorhandensein eines „Partners in eheähnlicher Gemeinschaft“ kreuzte sie im Antragsformular nicht an. In den Folgeanträgen vom 25.05.2005, 05.12.2005, 06.06.2006, 02.01.2007, 30.05.2007 und 28.11.2007 gab sie keine Änderung der persönlichen Verhältnisse an.
In den Folgeanträgen vom 05.06.2008, 04.12.2008, 26.05.2009, 24.11.2009, 01.06.2010, 24.11.2010, 18.05.2011, 14.11.2011, 24.05.2012 und 22.11.2012 verneinte die Klägerin zu 1) die nunmehr jeweils ausdrücklich gestellte Frage: „Ist eine oder sind mehrere Personen der Bedarfsgemeinschaft ein- bzw. ausgezogen?“.
Der Beklagte bewilligte den Klägern Leistungen nach dem SGB II mit Bescheiden vom 13.12.2004 (01.01.2005-30.06.2005), 30.05.2005 (01.07.2005-31.12.2005), 07.12.2005 (01.01.2006-30.06.2006), 07.06.2006 (01.07.2006-31.12.2006), 09.01.2007 (01.01.2007-30.06.2007), 14.06.2007 (01.07.2007-31.12.2007), 06.12.2007 (01.01.2008-30.06.2008), 01.07.2008 (01.07.2008-31.12.2008), 11.12.2008 (01.01.2009-30.06.2009), 19.06.2009 (01.07.2009-31.12.2009), 01.12.2009 (01.01.2010-30.06.2010), 09.06.2010 (01.07.2010-31.12.2010), 24.11.2010 (01.01.2011-30.06.2011), 18.05.2011 (01.07.2011-31.12.2011), 21.11.2011 (01.01.2012-30.06.2012), 24.05.2012 (01.07.2012-31.12.2012), 22.11.2012 (01.01.2013-30.06.2013). Mit Bescheiden vom 23.05.2011, 12.01.2012, 18.10.2012, 07.11.2012 und 21.01.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 2) Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Der Beklagte veranlasste in Folge anonymer Anzeigen Ermittlungen durch seinen Außendienst zu der Frage, ob die Klägerin zu 1) in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit J.S. lebt. J.S. ist der Sohn der Vermieterin des Hauses in der E.-Straße in A., in der die Kläger wohnen. Am 05. und 06.03.2012 ergaben sich ausweislich des Außendienstberichtes des Beklagten in der Wohnung der Kläger keine Anhaltspunkte für den ständigen Aufenthalt einer männlichen Person. Anlässlich eines weiterer Außendienstbesuches am 06.05.2013 erklärte die Klägerin zu 1), bei Herrn S. handle es sich um den Sohn der Vermieterin, der sich um die Außenanlagen des Hauses kümmere. Ausweislich eines Aktenvermerkes des Beklagten vom 06.06.2013 ging dieser vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Klägerin zu 1) und Herrn J.S. aus. Die von der Klägerin zu 1) an die Mutter von Herrn S. zu zahlende Miete in Höhe von 350 € sei für die Größe und Lage des Hauses in der E.-Straße unangemessen niedrig. Zudem sei regelmäßig ein auf Herrn S. zugelassener PKW im Carport des Hauses in der E.-Straße abgestellt. Man gehe davon aus, dass es sich bei dem KFZ-Kennzeichen X. um ein Wunschkennzeichen handle.
Mit Schreiben vom 26.06.2013 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1) auf, die letzten drei Verdienstbescheinigungen von J.S. vorzulegen.
Am 27.06.2013 sprachen M.F. und B.P., zwei ehemalige Arbeitskollegen von J.S., beim Beklagten vor. Sie gaben zu Protokoll, dass J.S. und die Klägerin zu 1) seit Jahren ein Paar seien. Sie hätten bereits in der H.-Straße zusammengewohnt und seien dann gemeinsam in das Haus in der E.-Straße gezogen. Auf Betriebsfesten sei die Klägerin zu 1) öfters als Begleitung von J.S. aufgetreten. Das auf J.S. zugelassene KfZ mit dem Kennzeichen X. werde überwiegend durch die Klägerin zu 1) genutzt. Es seien...