Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. örtliche Zuständigkeit. Streitigkeiten zwischen Pharmaunternehmen und dem GKV-Spitzenverband über eine konkrete Festlegung des erweiterten Preismoratoriums nach § 130a Abs 3a S 4 SGB 5. keine Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs 4 SGG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung in § 57a Abs 4 SGG betrifft nur die unmittelbare gerichtliche Überprüfung einer vertraglichen Vereinbarung oder Entscheidung auf Bundesebene. Es genügt nicht, dass über die Auslegung oder die Wirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung oder Entscheidung lediglich inzident gestritten wird.
2. Streitigkeiten zwischen pharmazeutischen Unternehmen und dem GKV-Spitzenverband über das für ein konkretes Arzneimittel festgelegte erweiterte Preismoratorium nach § 130a Abs 3a S 4 SGB 5 begründen keine Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs 4 SGG.
Tenor
Das Sozialgericht Berlin erklärt sich für örtlich unzuständig.
Der Rechtsstreit wird an das örtlich zuständige Sozialgericht Lübeck verwiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in R. Sie bringt unter anderem die Arzneimittel A. sowie das Arzneimittel V. in Verkehr. Der Beklagte hat für das am 15. Juli 2011 eingeführte Arzneimittel A. gemäß § 130a Abs. 3a Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auf Basis des Preises des Arzneimittels V. einen erweiterten Preismoratorium-Rabatt in Höhe von 37,45 EUR festgelegt und in das GKV-Abrechnungsverzeichnis aufgenommen. Zur Berechnung der Abschlagspflicht hat der Beklagte seine nach § 130 Abs. 3a Satz 11 SGB V getroffenen näheren Regelungen im Leitfaden zu § 130 Abs. 3a SGB V herangezogen, in dem u.a. Kriterien zur Ermittlung der Vergleichspackung und der Abschlagshöhe getroffen sind.
Die Klägerin begehrt mit ihrer am 17. Dezember 2015 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage die Feststellung, dass die Festlegung eines Preismoratorium-Rabattes durch die Beklagte gemäß § 130a Abs. 3a Satz 4 SGB V in Höhe von 37,45 EUR für das Fertigarzneimittel A. 5 mg/g + 100mg/g Lösung zur Anwendung auf der Haut rechtswidrig ist. Sie ist u.a. der Auffassung, dass das erweiterte Preismoratorium vorliegend nicht anwendbar sei, da es bereits an der hierfür erforderlichen Preiserhöhung fehle. Überdies verletze die Festlegung des erweiterten Preismoratoriums die Klägerin in ihren Grundrechten. Die Regelungen in § 130a Abs. 3a SGB V zum Preismoratorium seien mithin verfassungswidrig.
Mit Schreiben vom 21. März 2019 wies das Gericht die Beteiligten darauf hin, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit an das nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG zuständige Sozialgericht Lübeck zu verweisen. Die Beteiligten wandten sich gegen die beabsichtigte Verweisung und begründeten dies u.a. damit, dass die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG gegeben sei. Die im Klageantrag genannte genaue Abschlagshöhe für das Arzneimittel sei vom Beklagten aufgrund des Leitfadens berechnet worden. Zudem habe die Klägerin zur Begründung ihrer Klage unter anderem geltend gemacht, dass der Beklagte seinen Regelungspflichten in dem Leitfaden nicht ausreichend nachgekommen sei (u.a. keine Berücksichtigung der Tagesdosen (DDD) und der Indikation des Arzneimittels). Auch hieraus ergebe sich, dass es in dem Rechtsstreit wesentlich um den Leitfaden gehe.
II.
Nach Anhörung der Beteiligten hatte sich das Sozialgericht Berlin gemäß § 98 S. 1 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 2 S. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) von Amts wegen für örtlich unzuständig zu erklären, und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht Lübeck zu verweisen.
Gemäß § 57 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Klägerin, den diese in R. hat, einem Ort im Sozialgerichtsbezirk Lübeck. Daher ist nicht das Sozialgericht Berlin, sondern das Sozialgericht Lübeck örtlich zuständig.
Eine Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG ist nach Überzeugung der Kammer vorliegend nicht gegeben. Danach ist - sind Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene Streitgegenstand des Verfahrens - das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Kassenärztliche Bundesvereinigung oder Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung ihren Sitz hat, mithin das Sozialgericht Berlin.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Leitfaden des Beklagten um eine Entscheidung handelt, da er jedenfalls nicht Streitgegenstand im Sinne der Norm ist.
Hierfür verlangte die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bereits für die vor der klarstellenden Gesetzesänderung durch das BUK-NOG vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S 3836) bestehende Fassung des § 57a Abs. 4 SGG (“betreffen„) eine qualifizierte Betroffenheit, d.h. die Entscheidung muss selbst und unmittelbar in Streit stehen. Es muss sich also um eine solche Streitigkeit handeln, die sich ausschließlich auf die Ebene der Entscheidung oder des Vertrags auf Bundesebene bezieht (BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 - B 12 SF 5/12 S, Rn. 9 sowie Beschluss vo...