Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Beschäftigungswechsel. Versicherungsfreiheit. Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Prognose. keine Berücksichtigung von Entgeltveränderung aufgrund Mutterschutz. SGB 5 § 6 Abs 4 S 1 nur für laufende Beschäftigungsverhältnisse anwendbar
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Prognose nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V sind Entgeltveränderungen aufgrund Mutterschutzes zu berücksichtigen.
2. Die Regelung in § 6 Abs 4 S 1 SGB V ist auf neue Beschäftigungsverhältnisse nicht anzuwenden.
Tenor
Der Bescheid vom 13. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2020 wird aufgehoben und die Beklagten verpflichtet, den Bescheid vom 28. Mai 2018 zurückzunehmen. Es wird festgestellt, dass die Klägerin bei den Beklagten im Zeitraum vom 1. Mai 2018 bis zum 18. November 2018 pflichtversichert war.
Die Beklagten erstatten der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in der Zeit vom 1. Mai 2018 bis zum 18. November 2018 versicherungsfrei in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung war.
Die 1983 geborene Klägerin war zunächst in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 2018 mit einem Gehalt unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) abhängig beschäftigt und wurde bei der Beklagten zu 1) als versicherungspflichtiges Mitglied geführt.
Am 1. Mai 2018 begann die Klägerin ein neues Beschäftigungsverhältnis bei den B. W. mit einem vereinbarten Monatsgehalt von 5.942,02 Euro brutto. Die Klägerin war bei Aufnahme der Tätigkeit bereits schwanger, was dem Arbeitgeber zu dem Zeitpunkt auch bekannt war. Die Klägerin hatte dem Arbeitgeber zudem in den ersten Wochen des Beschäftigungsverhältnisses mündlich angekündigt, Elternzeit nehmen zu wollen.
Der Arbeitgeber der Klägerin meldete sie wegen Überschreitens der JAEG als versicherungsfreies Mitglied bei der Beklagten zu 1) als Einzugsstelle an.
Die Beklagten stellten daraufhin mit Bescheid vom 28. Mai 2018 fest, dass die Klägerin seit dem 1. Mai 2018 bei ihnen freiwillig kranken- und pflegepflichtversichert sei, und setzten Beiträge in Höhe von insgesamt 798,72 Euro monatlich fest.
Am 10. August 2018 begab sich die Klägerin in den Mutterschutz, gebar am 23. September 2018 ihr Kind T. H. und blieb bis zum 18. November 2018 im Mutterschutz. Am 25. September 2018 beantragte sie Elternzeit, in der sie sich im Zeitraum vom 19. November 2018 bis zum 22. März 2019 befand. Sie bezog währenddessen Elterngeld in Höhe von monatlich 1.187,23 Euro. Während der Elternzeit stufte die Beklagte zu 1) die Klägerin auf der Grundlage der beitragspflichtigen Mindesteinnahmen für freiwillig Versicherte ein. Gegen die für diesen Zeitraum ergangenen Beitragsbescheide vom 24. Oktober 2018 und vom 18. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2019 ist beim Sozialgericht unter dem Az. S 211 KR 1367/19 eine Klage anhängig (Klagezeitraum laut Klageantrag: 19. November 2018 bis 22. August 2019).
Mit Schreiben vom 26. Juni 2019 beantragte die Klägerin bei den Beklagten, den Bescheid vom 28. Mai 2018 zu überprüfen, da nach ihrer Auffassung die Regelungen des § 6 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht eingehalten worden seien.
Die Beklagten hielten an ihrer Entscheidung fest und begründeten dies damit, dass § 6 Abs. 4 SGB V nur bei bereits bestehenden Beschäftigungsverhältnissen einschlägig sei (Überprüfungsbescheid vom 13. September 2019).
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und wies darauf hin, dass sie bei der Entscheidung der Beklagten vom 28. Mai 2018 bereits schwanger gewesen sei. Die Beklagten wiesen den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2020 zurück. Bei der vom Arbeitgeber bei Meldung der Sozialversicherung zu treffenden Beurteilung, ob die JAEG überschritten werde, sei eine vorausschauende Betrachtungsweise auf der Grundlage der gegenwärtigen und bei normalem Verlauf für ein Zeitjahr zu erwartenden Einkommensverhältnisse festzustellen. Zukünftige Entgelterhöhungen sowie Entgeltminderungen seien erst ab dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, an dem die Änderung eintrete, selbst wenn zum Beurteilungszeitpunkt eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Änderung bestehe. Daher spiele die Entgeltminderung aufgrund Mutterschutzes bzw. Elternzeit bei der Beurteilung des Arbeitgebers keine Berücksichtigung. Die in § 6 Abs. 4 SGB V geregelte abweichende Verfahrensweise sei für Fälle der Neubeschäftigung - wie bei der Klägerin - nicht anzuwenden.
Die Klägerin hat am 31. März 2020 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass sie in der Tätigkeit ab dem 1. Mai 2018 weiterhin bei der Beklagten zu 1) pflichtversichert sei. Die von der Beklagten gestellte Prognose zur JAEG sei offensichtlich falsch. Bei Berücksichtigung des Verdienstes in den ersten vier Monaten des Jahres, der der Beklagten bekannt gewesen sei, wäre die JAEG auch bei durchgängiger Beschäftigung in dem neuen Beruf nicht überschritten worden. Zudem sei der Beklagten bekannt gewesen, dass die...