Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Anspruch eines Unionsbürgers auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Überprüfung der Bescheinigung gem § 2 Abs 3 FreizügG/EU 2004 über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit. kein Verwaltungsakt. behördliche Verfahrenshandlung. keine Tatbestandswirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Bestätigung der AA zur Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit nach § 2 Abs 3 FreizügG (juris: FreizügG/EU 2004) kein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt, sondern eine das Alg II-Bewilligungsverfahren begleitende, unselbstständige Verfahrenshandlung iS von § 56a SGG.

2. Die Bestätigung der AA zur Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit nach § 2 Abs 3 FreizügG (juris: FreizügG/EU 2004) hat für den vom Jobcenter festzustellenden Leistungsanspruch keine Tatbestandswirkung.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die von der Agentur für Arbeit (AA) zu erteilende Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit zur Erlangung eines SGB II-Leistungsanspruchs für arbeitsuchende EU-Bürger ein anfechtbarer Verwaltungsakt ist und ob per Feststellungsklage gegen die Beklagte eine Änderung der Bestätigung erreicht werden kann.

Der Kläger ist bulgarischer Staatsbürger, außerdem verfügt er über die türkische Staatsange-hörigkeit. Er reiste laut eigener Angabe im Oktober 2013 ins Bundesgebiet ein.

Einen Alg II-Antrag vom 19.6.2017 des seinerzeit wohnungs- und arbeitslosen Klägers hatte der Beigeladene unter Verweis auf den Status “Arbeitsuchender EU-Bürger„ zurückgewiesen (Bescheid vom 7.7.2017).

Ab 2.8.2017 fand der Kläger eine Beschäftigung bei der Fa. XXX Personaldienste. Im Vorfeld - u. a. am 31.7.2017 - hatte er das Jobcenter aufgesucht und eine Überbrückungshilfe bis zur Auszahlung des ersten Gehalts (nach Angabe des Klägers am 31.8.2017) beantragt. Insbesondere hatte er auf seine Wohnungslosigkeit hingewiesen. Der Arbeitsvertrag war beigefügt worden.

Mit Mitwirkungsschreiben vom 3.8.2017 forderte der Beigeladene eine Reihe von Unterlagen an, darunter die erste Gehaltsbescheinigung der Fa. XXX.

Der Antrag auf Überbrückungshilfe blieb ohne Reaktion, ebenso ein weiterer Antrag, der am 2.8.2017 per Post beim Jobcenter einging.

Am 11.8.2017 wurde dem Kläger fristlos gekündigt. Er teilte dies dem Beigeladenen in Form eines Schreibens mit, in dem er den Abbruch der Arbeit mit fehlenden finanziellen Mitteln für Fahrkosten und für Nahrungsmittel begründete.

Nach telefonischem Hinweis des Beigeladenen, dass Alg II nur auf der Grundlage einer von der AA bestätigten, unfreiwilligen Arbeitslosigkeit gezahlt werden könne, sprach der Kläger auf der AA vor und erhielt am 24.8.2017 eine Bescheinigung, wonach die “unfreiwillige Arbeitslosigkeit i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 3 FreizügG/EU„ nicht bestätigt werden könne. Dem liegt eine Anfrage der Beklagten bei der Fa. XXX zugrunde, die die Kündigung mit einer “Arbeits-verweigerung„ begründete; der Kläger habe erklärt, ohne Vorschuss nicht arbeiten gehen zu können. Mit seinem Einverständnis sei daher gekündigt worden. Der Arbeitgeber hatte wegen der ersten Lohnzahlung auf den Arbeitsvertrag verwiesen, der als Zahlungstermin den 15. des Folgemonats bestimmte.

Als leistungsrechtliche Folge der Bescheinigung der Beklagten bewilligte der Beigeladene nur Leistungen für die Dauer der Beschäftigung vom 2.8. bis 11.8.2017 (Bescheid vom 18.8.2017), im Übrigen sei der Kläger nach § 7 Abs. 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen (Bescheid vom 14.9.2017).

Mit Widerspruch und einstweiliger Anordnung hat der Kläger Alg II-Leistungen für die Zeit vom 21.10.2017 bis zum 11.1.2018 erhalten (S 38 AS 13505/17 ER). Die Klage auf Gewährung von Alg II ab 1.6.2017 ist noch anhängig (S 38 AS 15024/17).

In der Klageerwiderung in diesem Verfahren vertritt der Beigeladene die Auffassung, die Bescheinigung der Beklagten über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 3 FreizügG/EU habe für die Beigeladene Tatbestandswirkung und stehe einer Bewilligung ohne weitere Ermittlungen entgegen. Gleichwohl hatte der Beigeladene im Widerspruchsbescheid auch Gründe angeführt, wonach die Aufgabe des Arbeitsplatzes bei der Fa. XXX freiwillig erfolgt sei.

Der Kläger hatte deshalb die Bescheinigung der Beklagten mit Widerspruch angefochten: Wenn sie für den Anspruch auf Alg II konstitutive Bedeutung habe, beinhalte sie auch eine Regelung mit Außenwirkung, sei mithin als Verwaltungsakt zu qualifizieren. In der Sache sei die Bescheinigung fehlerhaft, weil die Umstände so gelegen hätten, dass der Arbeitsplatz mit langen Fahrwegen unter den damaligen Lebensumständen ohne die abgelehnten Überbrü-ckungsleistungen nicht länger zu bewältigen war.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.1.2018 als unzulässig zurück; die gerügte Bescheinigung bestätige lediglich einen Sachverhalt ohne weiteren Rege-lungscharakter. Es handle sich mithin nicht um einen Verwaltungsakt.

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