Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. obligatorische Anschlussversicherung. Ausschluss. anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Empfänger laufender Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB 12. Erfordernis eines zuerkennenden Verwaltungsakts des Sozialhilfeträgers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Ausschluss aus der obligatorischen Anschlussversicherung (§ 188 Abs 4 SGB V ) besteht in entsprechender Anwendung von § 5 Abs 8a S 2 iVm S 1 SGB V für Empfänger laufender Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Dies setzt regelmäßig einen - ggf rückwirkend - zuerkennenden Verwaltungsakt des Sozialhilfeträgers voraus.

2. Bestehen keine Anhaltspunkte für eine manipulative Leistungssteuerung durch den Sozialhilfeträger steht der (allgemeine) Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs 1 SGB XII ) einer Befugnis der Krankenkasse entgegen, die obligatorische Anschlussversicherung gemäߧ 188 Abs 4 SGB V mittels Feststellung der Eigenschaft als "Empfänger laufender (SGB XII-) Leistungen" auszuschließen (Abgrenzung zuBSG vom 7.7.2020 - B 12 KR 21/18 R = BSGE 130, 277 = SozR 4-2500 § 5 Nr 29 = juris RdNr 17).

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 952,72 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. April 2021 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese Kosten selbst zu tragen haben.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig sind Vergütungsansprüche für eine stationäre Behandlung des obdachlosen Patienten … B.  (fortan: B. bzw. Patient) im Oktober 2020.

Der 1964 geborene, seit vielen Jahren alkoholabhängige Patient wurde am 20. Juni 2018 aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) H. … entlassen, wo er seit Juli 2017 inhaftiert war. Aus der für ihn von der JVA im Rahmen der Entlassungsmaßnahmen vorgesehenen vollstationären Einrichtung Haus S. … zog B. noch am Entlassungstag wieder aus und verschwand. Eine ihm vom beigeladenen Sozialhilfeträger unter dem 22. Juni 2018 bewilligte Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII wurde sechs Tage später (Bescheid vom 28. Juni 2018) wieder aufgehoben, weil die Betreuung nicht zustande gekommen war. Nach zwei stationären Behandlungen (vom 26. Juni bis 3. Juli sowie vom 4. bis 10. Juli 2018) war B., für den seit 5. Juli 2018 ein Betreuer (vorläufig) bestellt war, ab 10. Juli 2018 in einer Wohnungsloseneinrichtung untergebracht (Haus H. …). Das beigeladene Jobcenter bewilligte ihm mit Bescheid vom 27. Juli 2018 rückwirkend ab 20. Juni 2018 laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Die beklagte Krankenkasse stellte unter dem 17. September 2018 für den Patienten eine Mitgliedsbescheinigung (Beginn 1. Juli 2018) aus. B. war bereits seit August 2018 nicht mehr auffindbar und es bestand weder zu seinem Betreuer noch zur Beklagten oder zu den Beigeladenen Kontakt. Der Beigeladene zu 1) hob die Bewilligung von SGB II-Leistungen schließlich ab 1. Februar 2019 auf. Anschließend und zugleich letztmalig bezog B. Arbeitslosengeld II vom 1. Dezember 2020 bis 31. Januar 2021.

Vom 15.  bis zum 16. Oktober 2020 befand sich B. in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Klägerin. Die stationäre Aufnahme erfolgte über die Rettungsstelle des Krankenhauses aufgrund eines Entzugskrampfanfalles bei Alkoholentzug. Der Patient wurde neurologisch tragiert und konsiliarisch psychiatrisch behandelt. Nach Stabilisierung des Zustandes und dem Ausschluss neurologischer Auffälligkeiten wurde der Patient zum kontrollierten Alkoholentzug bzw. Überwachung aufgenommen. Wegen der Einzelheiten der Behandlung wird auf den Arztbrief vom 16. Oktober 2020 verwiesen.

Nachdem die Beklagte die Kostenübernahme für die Behandlung abgelehnt hatte stellte ihr die Klägerin am 26. März 2021 die entstandenen Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 952,72 € vergeblich in Rechnung. Die Abrechnung erfolgte auf Grundlage der PEPP PA02 D („Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, Alter ≪ 65 Jahre, ohne komplizierende Konstellation, ohne Heroinkonsum oder intravenösen Gebrauch sonstiger Substanzen, ohne qualifizierten Entzug ab mehr als 14 Behandlungstagen'"). Der Rechnungsbetrag war am 9. April 2021 fällig.

Mit der am 7. Dezember 2021 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin den Vergütungsanspruch gegenüber der Beklagten weiter. Für B., der zuletzt bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert gewesen sei, habe eine Mitgliedschaft aufgrund der Versicherungspflicht gemäߧ 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) bestanden. Einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall habe B. nicht gehabt. Den Folgeaufenthalt des Patienten vom 6. bis 17. Januar 2021 habe die Beklagte beglichen. Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird auf die Klageschrift vom 7. Dezember 2021 nebst Anlagen sowie auf die ...

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