Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Hinterbliebenenrente. Versicherungsfall. Tod des Versicherten. haftungsbegründende Kausalität. mittelbare Unfallfolge. Theorie der wesentlichen Bedingung. Sterbehilfe. mutmaßlicher Wille des Versicherten. Abbruch der medizinischen und lebenserhaltenden Maßnahmen bei einem schwerstverletzten Wachkomapatienten. Einstellen der Nahrungszufuhr. kein Leistungsausschluss
Orientierungssatz
1. Die Sterbehilfe mittels eines Behandlungsabbruchs durch die Angehörigen des schwerstverletzten und im Wachkoma liegenden Versicherten (hier: Einstellen der Nahrungszufuhr mittels Durchtrennen der Magensonde) entspricht von ihrer Wertung her dann einer Selbsttötung als mittelbare Folge eines Arbeitsunfalls, wenn diese dem mutmaßlichen Willen des Versicherten entsprach.
2. Es entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 101 Abs 1 SGB 7 Maßnahmen der Sterbehilfe durch einen Behandlungsabbruch, die ihren Grund in der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Moribunden haben und die unter dem Schutze der Rechtsordnung stehen, durch einen Leistungsausschluss zu sanktionieren.
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 26. August 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente sowie Sterbegeld zu zahlen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente und Sterbegeld.
Die Klägerin war Ehefrau des mittlerweile verstorbenen Versicherten L. S. Bei einem Arbeitsunfall vom 7. September 2006 erlitt der Versicherte schwerste Verletzungen. Als Folgen dieses Arbeitsunfalls stellte die Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2008 fest: apallisches Syndrom (Wachkoma), Tetraplegie (komplette Lähmung aller Extremitäten), Dysphagie mit Tracheostomaversorgung und PEG-Versorgung sowie Harn- und Stuhlinkontinenz nach Verkehrsunfall mit schwerem Schädelhirntrauma mit Subduralblutung und Subarachnoidalblutung, multiplen Schädelfrakturen und multiplen traumatischen Hirnkontusionen, stumpfem Thoraxtrauma, Rippenserienfrakturen II-VI links, traumatischer Hämatopneumothorax beiderseits und Milzkontusion.
Über einen Zeitraum von rund zwei Jahren hinweg wurde der Versicherte medizinisch, physio- und ergotherapeutisch sowie logopädisch behandelt, ohne dass wesentliche Fortschritte im Genesungsprozess zu verzeichnen gewesen wären. Insbesondere änderte sich nichts an seinem Wachkoma.
Die Klägerin und ihre drei Söhne entschlossen sich daher, dem vor dem Unfall mündlich geäußerten Willen des Versicherten entsprechend lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden. Am 12. Juli 2010 durchtrennte die Klägerin daher die der Ernährung des Versicherten dienende Magensonde, so dass der Versicherte am 20. Juli 2010 verstarb.
Im Folgenden beantragte sie bei der Beklagten Hinterbliebenenrente und Sterbegeld. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. August 2010 ab. Ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen den mit Bescheid vom 18. März 2008 anerkannten Unfallfolgen und dem Tod des Ehemannes der Klägerin lasse sich nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht feststellen. Als Todesursache sei festgestellt worden: Marasmus infolge der Beendigung der Nahrungszufuhr (Einstellung der Versorgung durch die Magensonde). Die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen sei damit die allein wesentliche Bedingung für den Tod. Der Tod sei somit nicht Folge des Arbeitsunfalls, so dass Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht bestünden.
Hiergegen legte die Klägerin mit am 28. September 2010 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben Widerspruch ein, den sie wie folgt begründete: auch wenn als Todesursache Marasmus infolge der Beendigung der Nahrungszufuhr festgestellt worden sei, sei der Arbeitsunfall die Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne für den Tod des Versicherten. Seit dem Unfalltag habe sich der Versicherte in einem für ihn nicht lebenswerten Zustand befunden. Ende Juni 2010 habe sie - die Klägerin - von einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 25. Juni 2010 zum Aktenzeichen 2 StR 454/09 gehört. In diesem Urteil sei klargestellt worden, dass der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens unter gewissen Umständen nicht strafbar sei. Zwar habe eine Patientenverfügung des verstorbenen Versicherten nicht vorgelegen. Allerdings hätten sie - die Klägerin - und ihre drei Söhne gewusst, dass der Versicherte niemals nur durch lebenserhaltende Maßnahmen hätte weiterleben wollen. Es liege daher insbesondere kein verbotswidriges Verhalten vor, dass zu einem Entfallen des Leistungsanspruchs gemäß § 101 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) führen könnte.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2011,...