Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. pharmazeutisches Unternehmen. Generikaabschlag nach § 130a Abs 3b SGB 5. Abschlagsfreiheit bei Patentschutz
Orientierungssatz
Arzneimittel unterfallen nicht der Generikaabschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b S 1 SGB 5, solange ergänzende Schutzzertifikate wirksam sind.
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Arzneimittel P… 75 mg Filmtabletten und P… 300 mg Filmtabletten in ihren jeweiligen Handelsformen nicht der Generikaabschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b S. 1 SGB V unterfallen, solange das ergänzende Schutzzertifikat DE … wirksam ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Arzneimittel P… (P… 75 mg Filmtabletten und P… 300 mg Filmtabletten, im Folgenden zusammenfassend: P…) der Generikaabschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) unterliegen.
Das streitbefangene Arzneimittel P… enthält ausweislich der Fachinformation “Clopidogrel (als Hydrogensulfat)„ und ist am 15. Juli 1998 zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit Herzinfarkt und bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom zugelassen. Inhaber der arzneimittelrechtlichen Zulassung ist jeweils die Firma S… Pharma B…-M… S… in Frankreich. Inhaber der Vertriebsrechte für Deutschland ist allein die Klägerin. Sie bringt P… eigenverantwortlich und auf eigene Rechnung in den Verkehr und führt auch den Herstellerabschlag nach § 130a Abs. 1 SGB V ab.
Für P… bestand ein europäisches Patent EP …. Der deutsche Teil des Patents ist unter dem Aktenzeichen DE … veröffentlicht worden. Der durch diese Patente geschützte Patentanspruch lautet wie folgt: “Rechtsdrehendes Enantiomer von alpha- (4,5,6,7 - tetrahydrothieno 3,2-cpyrid-5-yl) (2-chlorphenyl)methylacetat, Verfahren zu seiner Herstellung und dieses enthaltende pharmazeutische Zubereitungen„. Die maximale Patentlaufzeit von 20 Jahren ist zum 16. Februar 2008 abgelaufen. Der Konzern, dem die Klägerin angehört, erhielt jedoch ein ergänzendes Schutzzertifikat nach § 16a Patentgesetz (PatG), durch welches der Patentschutz über den 16. Februar 2008 hinaus bis zum 16. Februar 2013 verlängert wurde. Wie dem Registerauszug vom 15. November 2012 zu entnehmen ist (Az. …), wurde das Schutzzertifikat in Folge weiter bis zum 16. August 2013 verlängert. Als Grundpatent ist in diesem Auszug der o.g. Patentspruch genannt; das Erzeugnis wird als “Clopidogrelhydrogensulfat„ bezeichnet.
Trotz des Patentschutzes für P… sind zwischenzeitlich weitere Clopidogrel-Präparate auf dem Markt. Im Juli 2009 wurde beispielsweise “Clopidogrel ratiopharm GmbH 75 mg Filmtabletten„ zugelassen. Dieses Arzneimittel enthält ausweislich der Fachinformation “Clopidogrel (als Besilat)„. Die Zulassung dieses und weiterer Arzneimittel (u.a. Clopidogrel-CT 75 mg Filmtabletten) erfolgte nach § 24b Abs. 2 Arzneimittelgesetz (AMG) durch Bezugnahme auf das Referenzarzneimittel P…. Bei Besilat handelt es sich, ebenso wie bei Hydrogensulfat, um ein Salz.
Nachdem die Regelung des Generikaabschlages nach § 130a Abs. 3b SGB V am 1. Mai 2006 in Kraft trat, überprüfte der Beklagte alle Angaben zur Abschlagsfreiheit und forderte alle Unternehmen, deren Auffassung zur Einstufung ihrer Präparate nicht geteilt wurde, zu einer Stellungnahme auf. Über das entsprechende Vorgehen wurden die Unternehmen in einem die Verbandsgespräche vom 8. Dezember 2008 zusammenfassenden Schreiben des Beklagten informiert. Wörtlich heißt es in Ziff. 2.4 des Schreibens: “Soweit der Anbieter an der Abschlagsbefreiung festhält, wird der GKV-Spitzenverband die Begründung an Hand der eingereichten Unterlagen prüfen. a) Ist die Begründung des Anbieters für die Abschlagsbefreiung nachvollziehbar und zutreffend, wird das betreffende Produkt, ggf. mit Befristungsvermerk, von der Prüfliste gestrichen. Der Anbieter erhält eine Erledigungsnachricht. b) Steht die Begründung des Anbieters nicht mit dem Leitfaden im Einklang, erhält der Anbieter eine entsprechende Nachricht. Der GKV-Spitzenverband ist auch in diesen Fällen gehalten, den Krankenkassen zur Anspruchswahrung eine Retaxierung der betroffenen Verordnungen gegenüber den Apotheken zu empfehlen.„ Im Rahmen dieses vom Beklagten durchzuführenden Prüfverfahrens wurde auch die Klägerin mit dem Arzneimittel P… aufgerufen. Mit Schreiben vom 14. November 2008 und 19. März 2009 berief sich die Klägerin auf den bestehenden Patentschutz für P. Mit Schreiben vom 8. Februar 2010 bezog der Beklagte die Klägerin wegen des Arzneimittels P… dennoch in das Fehlerkontrollverfahren ein. Begründet wurde dies unter Bezugnahme auf den Leitfaden wie folgt: “Die dem GKV-Spitzenverband vorliegende Patentschrift Nr. … vom 16.02.1988 betrifft nicht das Grundpatent “Clopidogrel„, sondern das Synthesepatent für “Clopidogrel-Hydrogensulfat„. In der Folge verfasste der Beklagte ein Rundschreiben vom 20. Mai 2010 an alle Krankenkassen. In diesem Rundschreiben war eine Liste derjenigen pharmazeutischen Unternehmer und Präparate...