Entscheidungsstichwort (Thema)
Doping im DDR-Hochleistungssport. 16-jährige Kanutin. Gabe von Dopingmittel als Beibringung von Gift iS des OEG. soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferentschädigung. tätlicher Angriff. Versagungsgrund. Einwilligung. ursächlicher Zusammenhang zwischen Doping und Brustkrebs
Leitsatz (amtlich)
Bei der Gabe von Dopingmittel (hier: Oral-Turinabol) an Hochleistungssportler in der ehemaligen DDR handelt es sich um die Beibringung von Gift iS des § 1 Abs 2 Nr 1 OEG. Versagungsgründe nach § 2 OEG (Einwilligung) lagen bei der damals 16-jährigen Klägerin (Kanutin ) nicht vor.
Orientierungssatz
Zur Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Doping mit Oral-Turinabol und dem Auftreten von Brustkrebs (hier bejaht).
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 05.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2007, die Schädigungsfolge Z.n. Mamma-Ca mit den psychischen und physischen Folgen der Erkrankung anzuerkennen und für die Zeit von Juni 2006 bis Dezember 2006 einen GdS von 50 festzustellen sowie eine entsprechende Versorgung von Juni 2006 bis Dezember 2006 nach dem OEG i.V.m. dem BVG zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu einem Viertel.
Tatbestand
Die 1968 geborene Klägerin begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen aufgrund der Einnahme von Dopingmitteln in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) sowie eine entsprechende Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die Klägerin war in der Zeit von 1982 bis 1988 Mitglied des Sportclubs B.-G. und Schülerin der K.- und J.Schule (KJS). Im Rahmen ihres Trainings als Kanutin nahm sie seit ca. 1984 die Anti-Baby-Pille sowie “blaue und weiße Pillen„ ein. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass es sich bei den blauen Pillen um Oral-Turinabol handelte. Oral-Turinabol (Dehydrochlormethyltestosteron) ist ein in den 1960er Jahren im Arzneimittelwerk VEB J. entwickeltes Anabolikum. Die Einnahme des Anabolikums war fest in den Trainingsplan der Klägerin integriert. Während der Einnahme der Präparate kam es zur Zunahme von Muskelmasse sowie der körperlichen Leistungsfähigkeit. Die Präparate wurden im Jahr 1988 wegen Auftretens von Kopfschmerzen abgesetzt.
Anfang der 1990er Jahre begann ein Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl von Trainern der ehemaligen DDR wegen Körperverletzung durch Verabreichung von Dopingmitteln an Hochleistungssportler. Das Ermittlungsverfahren richtete sich unter anderem gegen Herrn S. S., der die Klägerin (damaliger Name noch K. N.) im Sportclub B.-G. trainiert hatte. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurde auch die Klägerin am 20.09.1991 befragt. Laut des Ermittlungsberichtes vom 24.03.1999 gab die Klägerin während der Befragung im Wesentlichen an, dass sie von ihrer “körperlichen Statur eigentlich nicht so für den Kanusport geeignet„ gewesen sei. Diese körperlichen Defizite habe sie durch unterstützende Mittel (uM) ausgleichen wollen. Sie habe sich deshalb ohne das Wissen ihrer Eltern die Anti-Baby-Pille bei ihrem Frauenarzt besorgt, “damit sie endlich mit den leistungsunterstützenden Mitteln unter dem Trainer S. beginnen kann. Ich war damals 16 Jahre alt, als ich damit begann. Ziel war es ja von mir, einmal Olympiasieger zu werden, deshalb tat ich es auch freiwillig„. Weiter heißt es wörtlich in dem Ermittlungsbericht: “Ihren Eltern hätte sie zur uM Einnahme nichts sagen dürfen. Sie gibt ferner an, nicht mehr genau zu wissen, ob Sie über evtl. Folgen oder Spätfolgen aufgeklärt worden sei. Jedenfalls sei sie (nach der Wende) von “Dr. F., der hier die Anzeige erstattet hat„ einmal angerufen und über mögliche Folgen aufgeklärt worden. Bereits kurz nach der Einnahme habe sie eine erhebliche Leistungssteigerung verzeichnen können und sie habe die Mittel über einen Zeitraum von 4 Jahren eingenommen, in der Woche etwa 10 Tabletten (blaue und weiße). Nach der Einnahme der Mittel sei sie kräftiger geworden und das Volumen der Muskulatur und das Körpergewicht haben zugenommen. Die Gewichtszunahme sei ihr zwar “peinlich„ gewesen, aber sie habe diese “Veränderungen hingenommen, um sportlich weiterzukommen„. 1988 habe sie wegen Kopfschmerzen die Anti-Baby-Prille abgesetzt und danach festgestellt, dass sie ein dreiviertel Jahr keine Menstruation hatte„.
Auf ihr in diesem Zusammenhang gestellte Strafanzeige gegen “die Führungsspitzen des damaligen DDR-Sportes„ wegen Köperverletzung wurde der Klägerin mit Schreiben vom 24.03.1999 von der Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin mitgeteilt, dass die Ermittlungen insoweit gemäß § 153 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden seien. Die Staatsanwaltschaft II in Berlin habe von Amts wegen gegen ehemalige Trainer und Ärzte des Sportclubs B.-G. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung bzw. der Beihilfe hierzu wegen der Vergabe von Anabolika an Hochle...