Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittel. Versorgung mit Zytostatika. Apothekenwahlrecht bei bestehenden Kollektivverträgen. Letztentscheidungsrecht der Versicherten

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Bestehens des Apothekenwahlrechts der Versicherten gem § 31 Abs 1 S 5 SGB 5, wenn Krankenkassen auf Landesebene mit Apotheken Verträge gem § 129 Abs 5 S 3 SGB 5 zur Versorgung mit parenteralen Zubereitungen in der Onkologie abschließen.

 

Orientierungssatz

1. Aus dem Wortlaut des § 129 Abs 5 S 3 SGB 5 ergibt sich kein Ausschluss des Apothekenwahlrechts der Versicherten, denn der Begriff "sicherstellen" bedeutet keine Exklusivität für Vertragspartner sondern lediglich, das mittels eines solchen Vertrags die Krankenkasse ein System aufzubauen hat, dass flächendeckend die Versorgung gewährleisten muss.

2. An manchen Stellen im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Freiheit der Versicherten eingeschränkt oder der Höhe nach gedeckelt, letztlich hat aber immer der Versicherte die Entscheidung, welche Leistung genau er wünscht, selbst in der Hand. Ein absolutes Verbot der Wahl unter zugelassenen Leistungserbringern ist dem SGB 5 fremd.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.11.2015; Aktenzeichen B 3 KR 16/15 R)

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegen die Klägerin wegen der im Dezember 2013 gelieferten und abgerechneten parenteralen, onkologischen Zubereitungen in Höhe von 70.502,35 € keinen Anspruch auf Rückzahlung des vorläufig zur Auszahlung gebrachten Betrags hat.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert beträgt 70.502,35 €.

 

Tatbestand

Der Apotheker R. S. betreibt als in das Handelsregister eingetragener Kaufmann die Klägerin, die B. in B-Stadt. In dem gleichen Gebäude hat die hämatologische und onkologische Praxis der Ärzte Dr. K., D. und Dr. R. (im Folgenden: Onkologiepraxis) ihren Sitz. Die Apotheke stellt u.a. parenterale Zubereitungen in der Onkologie in dem dort befindlichen Reinraumlabor für die Onkologiepraxis seit 15 Jahren her. Die Kooperation erfolgte bislang nach § 11 Abs. 2 Apothekengesetz (ApoG).

Die Anforderungen, Herstellung und Lieferung der für die Krankenversicherten benötigten Zytostatikazubereitungen geschieht nach dem - von der Beklagten mit Nichtwissen bestrittenen - Vortrag der Klägerin in allen Fällen “ad hoc". Der behandelnde Arzt der Onkologiepraxis entscheidet in diesem Zusammenhang anlässlich des Patiententermins über die Durchführung der Therapie und gibt sodann die Herstellung der jeweils benötigten Zubereitung körpergewichtsadaptiert bei der Klägerin in Auftrag. In der Arztpraxis erfolgt vorher jeweils eine sofort ausgewertete Blutuntersuchung und gegebenenfalls auch körperliche Untersuchung der Patienten. Die Klägerin stellt die verordneten Zubereitungen sodann her und liefert sie in aller Regel innerhalb von 30 Minuten aus.

Eine interne Auswertung der Klägerin für den Zeitraum Januar bis Juni 2014 in Bezug auf alle Krankenkassen - von der Beklagten bestritten - ergab, dass aufgrund dieses ad hoc-Verfahrens von insgesamt 5718 vorgesehenen onkologischen Zubereitungen eine Anzahl von 1020 dieser Therapien storniert wurden, also nicht wie zunächst geplant durchgeführt wurden.

Die Beklagte schrieb mit Bekanntmachung vom 27. Juli 2013 öffentlich den Abschluss von Verträgen gem. § 129 Abs. 5 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren Anwendung bei Patienten aus. Die Ausschreibung erfolgte für 23 Gebietslose. In den Bewerbungsbedingungen hieß es unter Nr. 5:

“… Der Apotheker, dem der Zuschlag pro Gebietslos erteilt wird, beliefert während der Vertragslaufzeit die in dem jeweiligen Gebietslos ambulant behandelnden Ärzte (…) als exklusiver Vertragspartner der Auftraggeberin, d.h., es werden während der Vertragslaufzeit keine weiteren Verträge nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V für das jeweilige Gebietslos vergeben.

Das Apothekenwahlrecht gemäß § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V bleibt unberührt.

Die in Hessen untersuchte Versorgungsrealität zeigt jedoch, dass die Anzahl der Versicherten, die von ihrem Recht im Rahmen der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen Gebrauch machen, eine zu vernachlässigende Größe darstellt und ein Wahlrecht der betroffenen Versicherten in der Regel nicht ausgeübt wird (vgl. etwa den Beschluss des LSG Essen vom 22. Juli 2010, L 21 SF 152/10). …".

Die Klägerin bewarb sich auf die Lose 16 (L./N-I./D./R.) und 18 (F.), nicht jedoch auf das Gebietslos 14 (B-Stadt/W-Stadt/S-Stadt/G-Stadt), wo der Sitz der Klägerin ist. Die Zuschläge für die Lose 16 und 18 fielen auf die Apotheke a. M., K., bzw. auf die Apotheke i. E., A.. Das Los 14 entfiel auf die F. Apotheke W. in M.

Mit Schreiben vom 7. November 2013 informierte die Beklagte die Onkologiepraxis über das Ergebnis der Ausschreibung. Für die Arztpraxis bedeute dies, dass sie ab dem 1. Dezember 2013 die parenteralen zytostatischen Zubereitungen ...

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