Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Ausbildungsgeld. Einkommensanrechnung. Freibetrag für Elterneinkommen. Anwendung des zusätzlichen Freibetrags wegen unbilliger Härte gem § 25 Abs 6 BAföG. fehlende Ermessensausübung

 

Orientierungssatz

1. Die Härtefallregelung des § 25 Abs 6 BAföG ist auch bei der Berechnung des Ausbildungsgeldes nach den §§ 97 Abs 1, 98 Abs 1 Nr 2 und Abs 2, 102 Abs 1 S 1 Nr 1, 103 S 1 Nr 2, 104 SGB 3 anzuwenden und nicht durch § 108 Abs 2 Nr 2 SGB 3 ausgeschlossen.

2. § 108 Abs 2 Nr 2 SGB 3 stellt sich nur als Sonderregelung zu den Freibeträgen (§ 25 Abs 1 bis 4 BAföG), nicht aber als Sonderregelung zu § 25 Abs 6 BAföG dar.

3. Die Härteklausel des § 25 Abs 6 BAföG stellt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der über die Freibeträge des § 108 Abs 2 SGB 3 hinaus wirkt.

4. Das bloße Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen nach §§ 33 bis 33b EStG reicht nicht aus, den Tatbestand der unbilligen Härte iS des § 25 Abs 6 BAföG zu erfüllen (vgl BVerwG vom 17.7.1998 - 5 C 14/97 = BVerwGE 107, 164). Es muss vielmehr neben der durch die Behinderung typischerweise bestehenden finanziellen Belastung ein atypischer Sachverhalt vorliegen, der es rechtfertigt, weitere Einkommensanteile nicht anzurechnen. Unter Berücksichtigung der anerkannten außergewöhnlichen Belastungen und des Tatbestands, dass die unterhaltspflichtigen Eltern die Aufwendungen für 2 behinderte Kinder (eines schwerstbehindert und hilflos) tragen, konnte hier ein atypischer Fall anerkannt werden.

 

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 05.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2006 verurteilt, der Klägerin Ausbildungsgeld ab 01.03.2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu gewähren.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des von der Beklagten gewährten Ausbildungsgeldes streitig.

Die am 11.04.1986 geborene Klägerin leidet u. a. an einer Cerebralparese. Sie ist schwerbehindert mit einem GdB nach dem Schwerbehindertenrecht von 100. Die Merkzeichen “G„, “a.G.„ und “H„ sind bei der Klägerin anerkannt. Der Zwillingsbruder der Klägerin ist ebenfalls schwerbehindert mit einem GdB von 050. Am 01.09.2004 hat die Klägerin eine Ausbildung zur Bürokraft beim Integrationszentrum für Cerebralparese (ICP) in M. aufgenommen. Sie hat hinsichtlich des ersten Bewilligungsabschnitts (bis 28.02.2006) Ausbildungsgeld von der Beklagten nach den §§ 104 ff. SGB III in Höhe eines monatlichen Betrages von 93,00 € erhalten. Mit Antrag vom 25.11.2005 beantragte die Klägerin die Weiterbewilligung des Ausbildungsgeldes ab 01.03.2006. Die Ausbildung solle bis Juli 2007 beendet sein. Der Bruder befinde sich in der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Dessen Ausbildung ende voraussichtlich am 31.08.2006. Dem Antrag war der Steuerbescheid der Eltern der Klägerin vom 16.12.2005 für das Jahr 2004 beigefügt. Danach hatte der Vater der Klägerin Einkünfte in Höhe von 25.819,00 €, die Mutter in Höhe von 22.101,00 €.

Die Beklagte ermittelte das zu berücksichtigende Einkommen der Eltern nach Abzug der Steuern und der Sozialpauschale und bewilligte mit Bescheid vom 05.01.2006 Ausbildungsgeld für die Zeit vom 01.03.2006 bis 31.08.2006 in Höhe von monatlich 43,00 €. Für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.08.2007 wurden monatlich 0,00 € bewilligt. Hiergegen hat die Mutter der Klägerin unter Vorlage einer notariellen Vollmacht mit Schreiben vom 24.01.2006 Widerspruch eingelegt und die Berücksichtigung eines zusätzlichen Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG beantragt. Sie verwies darauf, dass beide Kinder seit ihrer Geburt behindert sind. Bedingt durch die Behinderung und die daraus resultierenden gesundheitlichen Probleme hätte die Familie höhere finanzielle Belastungen zu tragen, die in der Einkommenssteuer vom Finanzamt als außergewöhnliche Belastungen besonders berücksichtigt werden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2006 zurück. Sie verwies darauf, dass für das Ausbildungsgeld die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe entsprechend gelten, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist (§ 104 SGB III). Auf den Bedarf der Klägerin von 93,00 € sei gemäß § 108 Abs. 2 SGB III Einkommen anzurechnen. Das anzurechnende Einkommen betrage monatlich 49,55 €. Die Freibeträge für die Eltern seien abschließend geregelt. Der zusätzliche Härtefreibetrag nach § 25 Abs. 6 BAföG gelte nicht für die Berechnung der Höhe des Ausbildungsgeldes.

Hiergegen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, am 26.10.2006 Klage erhoben und beantragt, das Ausbildungsgeld vollumfänglich zu gewähren. Sie führt weiter aus, § 104 Abs. 2 SGB III verweise auf die Vorschriften zur Berufsausbildungsbeihilfe. § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB III verweise zu den Freibeträgen auf § 11 Abs. 4 sowie auf die Vorschriften des 4. Abschnitts des BAföG. § 108 Abs. 2 Nr. 2 SGB III regle abweichend von den Fre...

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